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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Max Brod, pp. 30-31
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Friedrich Burschell, pp. 31-32
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ratselhafte Frau, deren asketisch strenges BewuBtsein von threr natur- heldnischen Sinnlichkeit keine Notiz nimmt, die beides nebeneinander lebt, Verschlossenheit und hellen Liebessturm, ohne da2 ihr selbst Bruch oder Widerspruch flihlbar wtirde. Solche Frauen verffihren durch ihre Tugend. Die Wunden, die sie In aller Stille schlagen, heilen nie. Strenge Zucht einer religiosen Tradition, einer ernsten Familie, einer angeborenen und anerzoge- nen Sittlichkeit - und dennoch ein Hexenwesen im feinen weiBen Leib. ,,Elbische Wesen" tauchen irm Werk Haupttmanhs auf, die den Mann ver- derben, indem sie ihn auf eine hdhere Stufe, In reinere Kinstlerschaft, in groleres Leben, also in die Richtung des Guten emporheben. Rautendelein? Und ihre Vorlauferin (trotz vieler abweichender Z(Ige mutet ste mich wie eine Vorlauferln an) in den ,,Einsamen Menschen": Anna Mahr, -die be- scheiden, sittsam, ja mit der Weihe hochster Selbstlosigkeit auftritt - und dennoch bringt sie Vockerats schon wankeInde Seele vollends aus dem Gleichgewicht. Der Seraph, der zerstort - um wieviel bannender als der selbstverstandlich, seiner Natur gemb.3 zerstorende Teufel. Das zwischen Gut und Bo3se scheidende Urteil des Mannes steht still, wird ratlos,O findet keinen Anhalt, rettungslos verfallt der Mann einern Engelslacheln, vor dem sein letzes Abwehrmittel, der Kampfruf ,,Du bist bose", versagt. In diesern Engelslacheln offnet sich der tiefste Hollengrund der Welt, wie ihn Kaiser Karl an der Bahre Gersuinds sieht. DaB Erlosung an Schuld, Aufstieg an Verhartung des Herzens geknupft sein soll - das ist die allem Sinn ent- fernteste Geheimchiffre der Natur. Immer wieder hat Gerhart Hauptmann gerade diese Geheimchiffre beschworen, an diesem liu3ersten Unheil sich und seine Vertrauenskraft gemessen, FRIE)DRICH BIURISCHELL Verfasser zarter Prosast~lcke und kri- land. - Aus einem vor 1933 ersehlenenen tischer Essays, ehemals Mitarbeiter der Essay Burschells Uber CHARLOTTE ,Literarischen Welt", lebt jetzt in Eng- VON KALB bringen wir einen Abschnitt: ,,Du solltest nicht da sein!" ruft man thr zu, als sle ankommt, ein Mad- chen statt eines erwarteten mUnnlichen Erben, und der Fluch hat ihr ganzes Leben gezeichnet. Sie hat nie gesplelt. Als kleines Madchen st6Bt ste die Puppen zurtick. Finstere Sagen, bose Traume und Ahnungen, durch die Erzahlungen eines alten Forsters, die hallenden Gange, die Spukgestalten des unhetmlich weiten Schlosses gesteigert, machen das eigenwillige Kind noch scheuer. Mit ihren schwachen Augen kann sie das Sternenlicht nicht sehen, und durch einen Schleier sieht sie immer die Wirklichkelt. Frih verliert sie beide Eltern. Bei der weitverzweigten Verwandtschaft wird ste herumgestorien, lieblos und oherfilichlich erzogen. In unkindlichem Stolz vergrabt ste sich, In einer Nebelsphare aus vagen Gefuhlen, wahlloser Lektire, die sie heftig ver- teidigt. Ihre Heimat liegt nicht umsonst in der Nahe des Horselberges, der mUrchenreichen Mitte Deutschlands; nach allem Gehelmnisvollen greift ste verlangend. In Franken reizt sie das Barock der katholischen Fr6mmig- kelt, auf den Thfiringer Schlossern lBt ste sich ebenso sehr von pietistischer Glut wie von den neuen freimaurerischen Ideen entzrniden. So lernt ste bald feste Grenzen zu uberspringen, phantastisch, launenhaft auszuschweifen.
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