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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Oskar Bie, pp. 21-22
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Werner Bergengruen, p. 22
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Franz Blei, pp. 22-23
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da steht die grol3e Enzyklopadle, die alles welS, die alles Kluge von allen Menschen in wenige Bande zusammenpreBt, die es kaltlacheInd nach dem ttickischen Alphabet ordnen, A bis Athelm, Athen bis Bisenz (glucklich wer einen Schlulnamen hat, der wird durch den Rilcken ftirchterlich beruhmt), 17500 Seiten sind-hier unsere Stutze durchs Leben, 1000 Tafeln, davon 140 bunte, mit 10 000 Abbildungen, dazu 300 Karten und Plane - ich leugne es nicht, es ist ein Museum des Wissens von tadelloser Organisation. WERNER BERGENGRUEN 1892 In Riga geboren, ein Meister der kunstvoll geformten und von Spannung erfUllten Novelle. ist zugleich ein Lyriker von groller Begabung und hat als Rtoman- autor (,,Der Groftyrann und das Ge- richt", ,,Das groBe Alkahest", ,,Am Him- mel wie auf Erden" usw.) sichtliche und verdiente Erfolge gehabt. Mehrere seiner Bllcher wurden vom Regime verboten; 1937 wurde er aus der Reichsschrifttums- karnmer ausgeschlossen. Ein Teil seiner illegal verbreiteten Gedichte erschien 1946 in dem sehr eindrucksvollen Band: ,,Dies irae" (Desch-Verlag, Milnchen); diesem Band entstammt auch das hier abgedruckte Gedicht Bergengruens ,,DIE LtlGE": Wo Ist das Volk, das dies schadlos an seiner Seele ertrdge? Jahre und Jahre war unsre tdgliche Nahrung die Luge. Festlich hoben sie an, bekrdnzten Maschinen und Pfluge, sprachen von Freiheit und Brot, und alles, alles war LOge. Borgten von heldischer Vorzeit aufrauschende Adlerfluge. ruhmten in Vatern sich selbst, und alles, alles war Luge. Durch die Stral3en marschierten die endlosen Fahnenzuge, Glocken drohnten dazu, und alles, alles war Luge. Nicht nach totem Gesetz bemaBen sie Lobspruch und Rtige, Leben rnefen sle an, und alles, alles war Lfige. Durres sollte erbluhn! Sie wuBten sich keine Gendlge in der Verheil3ung des Heils, und alles, alles var Luge. Noch das Blut an den Handen, umflorten sie Aschenkruge, sangen der Toten Ruhm, und alles, alles war Ldge. Luge atmeten wir. Bis ins innerste Herzgetfige sickerte Tropfen fur Tropfen, der giftige Nebel der Lige. Und wir schrien zur Ho1le, gewurgt, erstickt von der Luge, dao irn Strahl der Vernichtung die Wahrhelt herniedersehilge. FRANZ BLEI 1871 In Wien geboren, schrieb zunaLchst Dramen, spliter eine Reihe grazibser kul- tutgeschtchtlicher Essays, literaturkriti- sche Arbeiten wie ,,Das groile Bestiarium der deutschen Literatur" sowie eine wert- volle Autobiographie. Er floh vor den Nazis nach den USA, wo er vor einigen Jahren gestorben ist. Biei war ein Meister der Formulierung und Charakterisierung. wie beispielsweise in seinem seinerzeit im Georg Milller Verlag erschienenen kultur- historischen Buch ,,DAS ROKOKO": Das Rokoko verbarg Zweck, Konstruktion und Elemente hinter dem Or- narment; man hob scheinbar alle statischen Gesetze auf und gefiel sich im Illusionismus; man vermengte Plastik und Architektur, oft indem man beldes malte. Kirchen machte man wie Theater, Schlafzimmer wie Altare, Baume und Straucher schnitt man zu Tierformen, Kaskaden liel man scheinbar auf- 22
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