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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Vicki Baum, pp. 16-18
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Walter Benjamin, p. 18
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Page 18
,,Gut - bleib nicht so lange, Kind. Du brauchst Ruhe", sagte von Porten, ,,du hast schwer gearbeitet." Clarissa lachte. ,,Ich habe nur ein paar Tonnen Hiihnerschmutz zusammen- gekratzt. Das ist angeblich die leichteste Arbeit. Es hat mir SpaI3 gemacht, wirklich." Ihre Stimme war beinahe schrill, so muhte sie sich, munter zu erscheinen, und von Porten drtickte noch einmal leicht ihre Schulter, bevor er seine Taschenlampe herausnahm. WALTER BENJAMIN Einer der In Deutschland noch so gut wle 1940 floh er Uiber die spanische Grenze unbekannten groilen Essayisten des deut- und endete dort nach seiner Verhaftung schen Sprachbereichs, vor 1933 Mitarbeiter durch Selbstmord. - In einem 1927 in der der ,,Literarischen Welt' und Verfasser ,Literarischen Welt" erschienenen Essay eines gedankenreichen Bandes ,,Einbahn- Benjamins finden sich die folgenden Sdtze "straBe". Er ging 1933 ins Exil; im Herbst Uber GOTTFRIED KELLERS HUMOR: Das leiser und melodischer gestimmte Lachen Kellers ist In den irdischen Gew6lben so gut zu Hause wie In den hinimlischen das des Homer. Man hat aber noch jedesmal erlebt, daB man zu einem grolen Autor sich den Zu- gang verbaut, wenn man davon ausgeht, er sei Humorist. So ist auch Kellers Humor nicht goldene Politur der~ Oberflache, sondern der unberechenbare Anlageplan seines melancholisch-cholerlschen Wesens. Dem folgt er in den bauchigen Arabesken seines Vokabulars. Und wenn er vor den btirgerlichen Satzungen Respekt bekundet, so hat er ihn in der Willkurwelt des Innern erlernt, und Kellers leidenschaftlichster Affekt, die Scham, liegt beiden zu- grunde. In seiner Weise ist der Humor eine Rechtsordnung. Er ist die Welt der urteilslosen Vollstreckung, in der Verdikt und Gnade im Gelachter laut wird. Das ist der ungeheure Vorbehalt, aus dem Kellers Schweigen und Dich- ten beredt wird. Von Fnede, Urteil und Verurteilung hat er wenig gehalten - wieviel erst von moralischer, das sagen die SchluBworte jener Liebesnovelle. Dem zum Denkmal hat er Seldwyla erbaut am Suidabhange jener Hilgel und Walder, an deren nordlichem die Stadt Ruechenstein liegt, deren Be- wohner ,,zu thren Hinrichtungen, Verbrennungen, Schwemmungen ein wind- stilles, freundliches Wetter liebten", daher dort ,,an recht schonen Sommer- tagen immer etwas vorging". Es war ihm ausgemachte Sache, ,,daB wohl eine ganze Stadt von Ungerechten und Leichtsinnigen zur Not fortbestehen kann im Wechsel der Zeiten..., daB aber nicht drei Gerechte lang unter einem Dach leben konnen, ohne sich in die Haare zu geraten". Die suie, herzstdrkende Skepsis, die unter angelegentlichem Schauen reift und wie ein starkes Arom aus Menschen und Dingen des liebenden Betrachters sich bemachtigt, ist nle in eine Prosa wie in Kellers eingegangen. Sie ist von der Vision des Glucks untrennbar, die diese Prosa realisiert hat. In ihr - und das ist die geheime Wissenschaft des Epikers, der allein das Glick mitteilbar macht - wiegt jede kleinste angeschaute Zelle Welt soviel wie der Rest aller Wirklichkeit. Die Haa4d, die in der Schenke so dr6hnend aufschlug, hat Im Gewicht der zartesten Dinge sich nie vergriffen. Abwagend Laut- und Sachgewichte zu verteilen, ist noch das Werk des Kanzleideutsch, das hin und wieder sich, umstandlich breit macht. Ein Loffel Suppe in der Hand des rechtschaffenden Mannes wiegt, wenn's drauf ankommt, das Tischgebet und Seelenheil im Munde des Gauners auf. ,,Martin Salander befolgte in allen Lagen seines Lebens, wo eine Suppe vorkam, die Angewohnung, ohne Ver- zug mit dem Genusse derselben zu beginnen, sobald er sie Im Teller hatte."
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