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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Julius Bab, pp. 13-14
Ernst Barlach, p. 14
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Streben, den Stolz der Persfnllchkeit, das GlUck der begrenzten Form zu ver- binden mit der frommen Hingabe an das HOchste, Unbekannte, an Menschheit, Welt, Gott. Das Innerste und Hdchste dieser Tradition scheint mir in der Gestalt Goethes Zu leben. Sein Bild wachzuhalten, ist nicht nur Dank gegen die Vergangenheit, sondern auch Pflicht gegen die Zukunft. Das mag das Neuerscheinen dieses Buches rechtfertigen, das ich heute meinem alten und meinem neuen Land widme. ERNST BARLACH Geboren 1870 in Wedel In Holstein, gleich Hungertod preisgegeben; er starb wah- bedeutend als Bildhauer wie als Drama- rend der Nazizeit. Ein deutscher Verleger tiker, wurde durch die vom Schwarzen wird eine Ausgabe seiner Briefe ver- Korps erdffnete Hetze ein Opfer des anstalten; eine Barlach-Gesellschaft wurde Dritten Reiches. Die Auffllhrung seiner gegrtndet. - tVber seine Anfange be- StUcke (,,Der arme Vetter", ,Die echten richtet er in seinem vor 1933 bet Paul Sedemunds", .,Der blaue Boll', ,,Der tote Cassirer, Berlin, erschienenen Werk ,,EIN Tag" und ,,Die Stndflut") wurde unter- SELBSTERLEBTES LEBEN", das zu- sagt, und als Bildhauer zahlte man ihn gleich eine gute Vorstellung von Barlachs su den Entarteten. Barlach wurde dem eindringlichem Prosastil vermittelt. Hatte ich etlentlich Talent? Mein erster Zeichenlehrer In Hamburg war eln regelrechter Original-Germane, Herr Woldemar, der Dine, Schiller Thor- waldsens, wie es hieB, ein zelotischer Herr, den sein Zorn in heftig hin- schielender Fahrt erhielt, ein gewohnheitsmaBiger Zorn. Selbst wenn das Zetern einmal aussetzte, schien das abgeschnurte Pfauchen sich im Unter- kiefer zu verkrampfen und der dranhangende Beberbart kochte dazu. Immer war Woldemar bereit, sich In Berserkerel zu sturzen, immer bereit, zu er- schlagen und zu stelnigen. Ein Machtbold, der in Furcht und Zittern des Gesindes die Bestatigung seines Wertes sah. Er riet mir beim ersten Blick auf mein Zeichenbrett in der ersten Stunde, nur gleich meine Miuhe ein- zustellen, ich wurde niemals was Rechtes zustande bringen - schnaufte noch Wa3 Hohnisches aus den Nasl6chern dazu und kehrte sich ab. Aber ich folgte nicht, sondern erzwang in einem langen Kampfe seinen endlichen, herzlich widerwilligen Beifall. Nein, es war wohl kein Talent, was da In mir stak. Ein aussichtsarmer Gehorsam rieb sich auf in blindem Tun, und Ich konnte nicht folgen, nicht, well ich mir gesagt hitte, daB man Herrn Woldemar als einem geringen Gott keinen Gehorsam schuldig set, sondern well solches Folgen, verbissen wie ich mich hatte, schon sehr bald nicht milehr zur Wahi stand. Ich war in eine Zeit geraten, die fair mich kein f8rderndes Beispiel fibrig hatte, es war wohl wirklich Erbieten und Erwarten zwischen uns unnotig; ohne es zu ahnen, stand ich nackt und bloB in einer ungeheuren Elndde und konnte selbst zusehen, wie ich's treiben wilrde, stand und hatte kein Arg oder Scheu, versah mich keiner Probleme und zog, schneckengleich wohnend tin kleinen Kaimmerchen des willenlosen Gehorsams, unbewuBt des Weges zum unbekannten Ziel.
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