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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Kantorowicz, Alfred
Am 10. Mai 1933..., pp. 6-[10] ff.
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bestande des alten Europa zu bewahren und In das neue Europa, das nun auf den Triimmern entstehen soll, hintiberzuretten. Die Namen dieser bedeutenden Manner und Frauen sind der jiingeren Ge- neration in Deutschland fremd geblieben. Ste kennen ihre Meister nicht mehr - oder noch nicht (um es hoffnungsvoll zu formulieren). Das immer- hin hat nationalsozialistische Gewalt zuwege gebracht, wie sie ja leider im Negativen, Destruktiven so viel zuwege gebracht hat. Man wird da von Grund auf neu beginnen missen. Aber es ist wohl eine dankbare Aufgabe, junge Deutsche zu lehren, daB es fur sie nun hoch an der Zeit ist, sich mit den sch6pferischen Leistungen und der charakterlichen Vorbildlichkeit groBer Deutscher vertraut zu machen, deren Weltgeltung, deren Bedeutung fUr das deutsche Schrifttum, ja, deren Existenz man ihnen unterschlagen hatte. Es ist beispiellos: 250 Schriftsteller einer Generation verstummen oder verlassen Ihr Land. Man hat dergleichen in geschichtlichen Zeiten noch nicht erlebt, daB nahezu die gesamte qualifizerte Literatur eines Landes sich den Usurpatoren widersetzt. 250 Schriftsteller! Viele bedeutende und die be- deutendsten, viele beruhmte und die weltbertihmten Autoren deutscher Zunge unter ihnen. Individualisten, wie deutsche Dichter und Denker es in der Regel zu sein pflegen, waren sie bet aller Eigenart doch miteinander verbunden durch das BewuBtsein, dal ein schipferischer Deutscher von Selbstachtung und von Achtung fAr die Wurde und die Freiheit des Geistes nicht mit dem Regime des Antigeistes paktieren konnte. Heinrich Mann hatte uns gelehrt: ,,Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet, damit kann ein Bankier zur Not noch durchkommen, ein Schriftsteller nicht. Ihn schlieft gerade sein Verzicht auf innere Ehrenhaftigkeit von seineml Beruf aus. Wer das Un- ehrenhafte einer solchen Lage nicht empfindet, kommt fUr die Literatur Uberhaupt nicht in Betracht. Wer es aber empfindet und dennoch hin- nimmt, wird personlich uninteressant und bringt bestimmt nur Unwirk- sames hervor . . . Literatur kann es nur geben, wo der Geist selbst eine Macht ist, anstatt daB er abdankt und sich beugt unter geist- widrige Gewalten." Es ist ein Ehrentitel der zeitgenbssischen deutschen Literatur, daB sie diese Sentenz Heinrich Manns zu ihrem Ehrenkodex gemacht hat. Es hat aich dieses, die deutschen Schriftsteller verbindende BewuBtsein nicht nur etwa passiv ausgedrUckt in der Tatsache, daB sie ihr Land verlieBen, in dem Geist und Gesittung keine Heimat mehr hatten, sondern aktiv in Werk und Tat. Werk und Tat, das ist bet einem Schriftsteller bis zu einem hohen Grade ein Synonym: seine Tat ist ja sein Werk. Sein Werk aber ist seine Tat. Mit thin stellt er sich seiner Zeit und ihren Problemen, mit ihm greift er in den Kampf ein, bisweilen in den Tageskampf, und niemand erkuhne sich, diese Bezugnahme auf die Probleme und die Not der Zeit eines Dichters fUr un- wtirdig zu erklaren. Zu alien Zeiten sind grof3e Dichter in die Emigration gegangen, und viele der unsterblichen Werke der Weltliteratur sind ent- standen als Kampfschriften des Exils; es genuge, darauf zu verweisen, daB Dantes G6ttliche Kombdie in der Verbannung geschrieben wurde, Cervantes' Don Quichote im Gefangnis, und wir Deutschen nennen mit Stolz die Namen der groBen Emigranten BUchner, Heine, Herwegh und Freiligrath. Unsere Gro~en setzten eine ehrw~irdige Tradition fort, wenn sie in zor- nigen Aufrufen und brandmarkenden Abrechnungen schandliche Taten, von '7
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