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Berlin (Germany : East). Magistrat. Abteilung für Volksbildung / Verzeichnis der auszusondernden Literatur
([1946])
Die kritischen Gesichtspunkte bei der Aufstellung der Ausschaltungsliste, pp. 5-6
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Die kritischen Gesichtspunkte bei der Auf- stellung der Ausschaltungsliste Der Faschismus, der seine Hauptaufgabe darin erblickte, mit allien nur erdenklichen Mitteln den imperialistischen Krieg vorzubereiten, hatte auch das deutsche Buch in hdchstmdglichem Umfange in den Dienst der Durch- fiihrung seines verbrecherischen Vorhabens gestellt. Wesentlich erleichtert wurde ihm dieser MiBbrauch insofern, als der uiberwiegende Teil der deutschen Intelligenz lange vor Hitler sich den chauvinistischen und milita- ristischen Einflussen des reaktionaren PreuBentums ergeben hatte, das darum auch in dem deutschen Schrifttum in mannigfachen Abwandlungen einmen Ausldruck fand. In krampfhafter Weise bemiuhte sich der Hitleris- mus, diese Literatur zu erganzen durch Uberschwemmung des Biiche'rmarktes mit einer Hochflut von Schriften, die 6owohl in ihrem Bildungsgehalt und ilirer politischen Ten-denz wie in ihrer dsthetischen Form einen beschamen- den Tiefstand erreichten. Dadurch und durch den brutalen Vernichtungs- feldzug gegen die freiheitlich gesinnten Autoren erreichte der Nazismus, daB das deutsche Buch, einst eine der Saulen der deutschen Ansehens in der Welt, der Verachtung und dem Hohn der Menschheit iiberliefert und dem eigenen Volk eine seiner tiefsten Kraftquellen verschiittet wurde. Den Auftrag, VorschIdge zur Ausmerzung der schadlichen Literatur zu machen, haben wir so verstanden, daB nicht nur die unzweifelhafte Nazi- Literatur zu beseitigen war, sondern daB auch alles da6 entfernt werdei sollte, was ideologisch verderblich fMr die Jugend und verwirrend fur die Erwachsenen rein konnte. DaB3 neben den nationalsozialistischen Autoren ebenfall!s alle Reaktionare, Chauvinisten, Imperialisten, Krieg6- und Kolonialenthusiasten auch aus anderen Lagern festzulegen waren, verstand sich am Ranide. Wir haben aber die Gelegenheit benutzt, noch tiefer zu graben, und auch jene teutonischen Barden auf die Liste gesetzt, die mit Vorliebe durch das Mittel historischer Erzahlungen mit hohlem Pathos und professoraler Donnerstimme turmhohe Uberlegenheit der germanischen Rasse oder des deutschen Volkes zu ver- kiinden pflegten und dabei vor Geschichtsklitterung nicht zuruck6chreckten. Als Urbild dieser Haltung erschien uns Felix Dahn. Gelegentliches Rebellentum gegen die alleinseligmachenden Grundsdtze der NSDAP konnte ebensoiwenig vor der Erfassung durch die Liste bewahren - vwenn sich dahinter eine so urreaktionare Personlichkeit wie Ern6t Reventlow verbarg - wie, nach ihrer Ablehnung durch die Nazis, die reumuitige Ruckkehr von Konjunkturschreibern vom Schlage der Hanns Heinz Ewerr und Czech-Jochberg zu unpolitischeren Gefillden. DaB damit manches Lesbare aus friuheren Zeiten unter den Tirch fallen muBte, konnte die Ent- scheidung eben6owenig beeinflussen, wie bei den reinen NS-Verfasrern oder den Autoren, die bewuBt die Parteiverlage gewahlt hatten, weil sie mit er- hohtpen Auflagen rechnen zu konnen glaubten. So hat z. B. Felix Riemkasten 5
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