Page View
Aufwärts
Jahrgang 20, Nr. 12 (December 15, 1967)
DGB-Kundgebung gegen die Notstandsgesetzgebung in Bonn, p. 2
Page 2
gen ebung in Bonn W ir wollen und wir werden diesen Staat, den wir selbst mitgeschaffen haben, in Zeiten der Not und Gefahr nicht im Stich lassen. Diese Feststellung traf der DGB-Vorsitzende Ludwig Rosen- berg auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die Not- standsgesetzgebung, die am 2. Novem- ber 1967 in ponn stattfand. Er wies darauf hin, daß sich die Gewerkschaften im DGB-Grundsatzprogramm ausdrücklich dazu bekannt haben, für die freiheitliche demokratische Ordnung in der Bundes- republik Verantwortung zu übernehmen, und erklärte: <Gerade aus dieser Verant- wortung heraus müssen wir die soge- nannten einfachen Notstandsgesetze wie auch die neue Vorlage der Notstands- verfassung ablehnen." D er stellvertretende DGB-Vorsitzende Hermann Beermann ging in seiner Ansprache auf der Bonner Kundgebung vor allem auf die sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Auswirkungen derNot- standsgesetzgebung ein. Schon in den bereits vom Bundestag verabschiedeten einfachen Notstandsgesetzen seien ver- fassungswidrige Eingriffe in das Grund- recht der Freiheit vom Arbeitszwang ent- halten. Diese fehlende Verfassungs- mäßigkeit solle nun nachträglich durch eine Änderung des Artikels 12 unseres Grundgesetzes korrigiert werden. Die Verfassung eines Staates habe sich aber nicht nach seiner Gesetzgebung, son- dern die Gesetzgebung nach der Verfas- sung zu richten. as DGB-Bundesvorstandsmitglied Waldemar Reuter ging auf der Bon- ner Kundgebung vorwiegend auf die ver- fassungsrechtlichen Aspekte der geplan- ten Notstandsgesetzgebung ein. Reuter betonte, daß der Grundgesetzgeber be- wußt darauf verzichtet hat, den Versuch zu unternehmen, die Notstandsregelung in die Verfassung einzubeziehen, weil die Bundesrepublik damals unter der Schirm- herrschaft der drei westlichen Hohen Kommissare stand, die ihrerseits die Sicherheit des Staates garantieren konn- ten, weil sie allein über die erforderlichen Machtmittel verfügten. Reuter führte dann aus: <Die zunehmenden Souveränitätsrechte der Bundesrepublik ließen auch die Dis- kussion um das Notstandsrecht wieder Rosenberg begründete diese Ablehnung mit der Tatsache, daß die Notstands- gesetze entscheidende Bestimmungen und Wertvorstellungen des Grundgeset- zes außer Kraft setzen, zu denen sich die Gewerkschaften uneingeschränkt beken- nen und die nach ihrer Auffassung auch in Zeiten der Not erhalten bleiben müs- sen. Der DGB sei nicht grundsätzlich ge- gen eine Vorsorge für den Notstandsfall, aber er sei der Auffassung, daß dafür die vorhandenen Regelungen ausreichen. Daher richte sich sein Widerstand gegen Maßnahmen, deren Auswirkungen mehr Gefahren für die Freiheit zu bringen schei- nen, als sie geeignet erscheinen, die Frei- heit zu schützen. Schon die bloße Exi- stenz solcher Notstandsgesetze schaffe eine Verlockung, sie auch dann und auch <Diese beabsichtigten Änderungen des Grundgesetzes in Verbindung mit den einfachen Notstandsgesetzen ermögli- chen", so erklärte Beermann, <eine zen- tralistische und fast totale Erfassung und Verplanung nahezu aller arbeitsfähigen Bürger als Arbeitskräfte bereits in Frie- denszeiten." Durch die Unbestimmtheit der für die Anwendung der Gesetze maß- gebenden Begriffe werde den Trägern der Exekutive ein derart weitreichender Ermessensspielraum eingeräumt, ,daß Mißbrauch und Maßlosigkeit Tür und Tor geöffnet werden." Die hier vorgesehenen Eingriffe in die Freiheit der Arbeitnehmer vom Arbeits- zwang seien so einschneidend, daß da- mit eindeutig der Wesensgehalt dieses Grundrechtes angetastet wird, was selbst auffiackern und schließlich in die Be- stimmung des Deutschlandvertrages ein- münden, in dem sich die westlichen Alliierten bei Notstandslagen Eingriffe in die bestehende Ordnung zum Schutz ihrer eigenen Truppen und Institutionen vorbehielten. Hier ist der Angelpunkt für alle Bemü- hungen zu sehen, der Bundesrepublik eine eigene Notstandsgesetzgebung zu bescheren. Um die Souveränität der Bun- desrepublik zu erweitern, sollen die alliier- ten Vorbehaltsrechte abgelöst werden. Hier ist aber auch der erste Ansatz- punkt unserer Kritik an der Einfüh- rung des Notstandsrechts in unser Grundgesetz. Bisher hat keiner unserer Partner des Deutschlandvertrages erklärt oder zu erkennen gegeben, ob und wel- dort zu nutzen, wo kein wirklicher Zwang dazu gegeben sein mag. Mit Nachdruck wandte sich der DGB- Vorsitzende gegen die Vorwürfe, daß die gewerkschaftliche Ablehnung der Not- standsgesetzgebung verantwortungslos wäre und dem Staat das verweigere, was sein gutes Recht sei. Ganz gleich, wie der einzelne zu dieser Frage stehen mag, alle sollten dem DGB und seinen Gewerk- schaften dankbar sein, daß über eine so bedeutsame Frage eine ernsthafte Aus- einandersetzung entstand und daß sie - nahezu unbeachtet von den betroffenen Bürgern - erledigt wurde. ~Wenn es für den Bürger in einer Demokratie eine Pflicht gibt, die er niemals vernachlässi- gen darf, so diese: sorgfältig und kritisch darüber zu wachen, daß jene Grundrechte im Wege einer Grundgesetzänderung nicht zulässig sei. Seinerzeit habe der Verfassungsgeber die Zwangsarbeit und damit Dienstver- pflichtungen ebenso wie Einschränkun- gen des freien Arbeitsplatzwechsels in bewußter Abkehr von den Methoden eines totalitären Staates verboten. Die Gewerkschaften würden einer Rückkehr zu solchen Methoden niemals zustim- men. Ebenso entschieden wehrten sie sich ge- gen die Einsetzung der Arbeitsämter als Erfassungs- und Heranziehungsbehör- den und gegen die mit der Notstands- gesetzgebung verbundenen Beeinträch- tigungen des Koalitions- und Streikrechts der Arbeitnehmer. Die Behauptung des Bundeskabinetts, daß der neue Entwurf chen der bisher vorgelegten Entwürfe zur Notstandsregelung er für ausreichend ansieht, die Vorbehaltsrechte, einschließ- lich der aus dem Gesamtvorbehalt des Artikels 2 des Deutschlandvertrages möglicherweise resultierenden Schutz- rechte, tatsächlich abzulösen. Damit steht auch der jetzt vorliegende Entwurf auf tönernen Füßen, weil sich erst nach seiner Verabschiedung in Bun- destag und Bundesrat herausstellen würde, ob er nach Ansicht unserer Ver- tragspartner sein Ziel erreicht hätte. Welche Peinlichkeit, wenn die Arbeit der Parlamente umsonst gewesen wäre, wenn auch nur einer der Partner sein Veto einlegen würde. Der zweite kritische Ansatzpunkt ist die Behandlung der Grundrechte durch den nicht angetastet werden, die die Grund- lage der freiheitlichen Ordnung sind, in der er leben will." ~Den großen Eifer und die viele Mühe, die wir daran verwenden, Gebirge von Ver- ordnungen und Paragraphen für Not- standsgesetze zu entwerfen, zu verwer- fen und neu zu konzipieren, diese Mühe und diesen Eifer sollten wir besser darauf verwenden, in den Schulen und im Eltern- haus, in den Betrieben und im Büro, auf der Straße und zu Hause dieses Volk zu einer Gemeinschaft bewußter Demokra- ten und Bürger zu erziehen, die sich frei- willig dienstverpflichtet halten, ihre Ver- antwortung in Staat und Gemeinschaft, in guten und in bösen Tagen für die Frei- heit und für soziale Gerechtigkeit zu tra- gen." eine ausdrückliche Garantie des Streik- rechts der Gewerkschaften enthalte, sei falsch und irreführend. Die Bestimmung, die den Einsatz von Polizei, Bundes- grenzschutz und Bundeswehr bei ge- werkschaftlichen Arbeitskämpfen unter- sagen soll, stelle keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Garantie des Streikrechts der Gewerkschaften dar, da die Anwendung aller übrigen Notstands- vorschriften, die vielfache Möglichkeiten unmittelbar oder mittelbarer Beschrän- kungen des Koalitions- und Streikrechts enthalten, nicht ausgeschlossen wird. Eine solche Regelung, die offen läßt, daß auf Grund eines einfachen Gesetzes Streikende jederzeit dienstverpflichtet und damit Arbeitskämpfe unwirksam ge- macht werden können, sei abzulehnen. Entwurf. Unsere Demokratie ist noch sehr jung, so jung jedenfalls, daß die Grund- rechte leider noch nicht ausreichend ge- festigt und voll in das Bewußtsein unse- res Volkes eingedrungen sind. Wir kön- nen als Volk nicht aus unserer Geschichte aussteigen. Und diese Geschichte kennt wohl genügend Beispiele für Absolutis- mus, Obrigkeit und Diktatur, doch schau- en wir vergebens nach einer französi- schen Revolution oder einer Deklaration der Menschenrechte aus. Am Beginn unserer Demokratie hat auch nicht die Enthauptung eines despotischen Herr- schers gestanden. Es darf deshalb auch nicht verwundern, daß in unserem öffent- lichen und wohl auch im privaten Leben so häufig die Vergangenheit noch durch- schlägt."
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright