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Aufwärts
Jahrgang 15, Nr. 9 (September 15, 1962)
Weisenborn, Günther
Die vorletzte Minute, p. 19
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fon Günther WnIugWboi d Stadt gelaufen. Er streckte den andern Fuß ins Wasser, damit sie ihn auch sehen solle. Dann fiel ihm wieder alles ein. Aus seinen Augenwinkeln musterte er sie, wie sie da mit dem Bauch auf der Kribbe lag, auf den heißen Steinen sich ausstreckte, der Rücken glänzte rund in der brütenden Sonne. Sie hatte vor lauter Licht schmale Augen, müde Augen da- zu, mit denen sie ihn anblickte, als habe sie ihn vergessen. Sie blickte zu ihm hinüber, als sei er ein Fen- ster, durch das man gelassen eine Abendland- schaft betrachtet. Sie war so verändert, als hätte sie ihr Gesicht mit einer Freundin ge- tauscht. Unbehaglich starrte er auf das Was- ser. Man roch den Rhein. Es war sein müder, schwerer Sommergeruch. Der Schein war hier glatt und eilig. Drüben lag die Gronau. Sie waren herübergeschwommen, und erholten sich jetzt auf der Buhne neben der Zement- fabrik. Sie würden gleich zurückschwimmen, zwei junge Menschen, zwei Studenten, ein Liebespaar. In der Gronau, jener Senke aus Wiesen und Feldern, an deren Ufer Büsche standen und Baumgruppen, fuhren andere Badelustige drüben weit vom Stadion her auf Rädern zum Strand. Irgend etwas blinkte in der Sonne. Drei dünne Staubspuren zogen lang- sam hinter ihnen her, erhoben sich jedoch nut halbhoch, als seien sie müde und sanken da- nach in einem Bogen auf den Feldweg. Man sah sie im Sand liegen, nackt und braun und bunt-getupft von den Badeanzügen. Keiner be- wegte sich. Es war einer der heißesten Tage des Sommers. Die Glut war wie aus Stein, wenn man aus dem Schatten trat. Hinter einem Ge- büsch spielte jemand träge auf der Ziehhar- monika. Sie bewegte sich und drehte sich auf den Rücken. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr se- hen, nicht mehr ihren müden Mund, der ihm jeden Kuß geschenkt hatte, nach dem er be- gehrte, nicht mehr die sanfte Trauer in ihren |t f t e Adlig& dunkelblauen Augen, nicht mehr die Linien dieses Leibes. Erwußte, daß sie eine großartige Frau war, trainiert und hübsch. Er wußte, daß siejeden Tag Corelli übte, daß sie der Star des musikwissenschaftlichen Seminare war, und er wußte, daß augenblicklich eine bestimmte Ver- wandlung in ihr vorging. Natürlich, das ging seit 10000 Jahren so. Es war so unter den Menschen. Wir alle sind so entstanden, na- türlich. Es war das Problem, vor das fast jeder Mann sich eines Tages gestellt sieht. Aber jetzt schon, heute? Er lebte von einem dünnen Stipendium, und auch sie hatte Gebühren- erlaß und Freitisch. Und er war heftig gewor- den, als er von ihr verlangte, sie solle Konse- quenzen medizinischer Art ziehen. Aber etwas Unvorhergesehenes geschah. Sie weigerte sich. Sie sagte kaum etwas in dieser stürmi- schen Unterhaltung, aber sie schüttelte den Kopf und senkte ihn, daß Ihre rotblonde Mähne ihr Gesicht verhängte. Weißglühend vor Wut war er aus dem Sand der Gronau aufgesprun- gen und ins Wasser gestürmt. Sie war wie ein getreues Weib hinterher geschwommen. Sie folgte ihm Hand über Hand, und sie gingen wieder am andern Ufer den Strom aufwärts, bis sie auf der Kribbe rasteten. Sie sagten kein Wort mehr. Er blickte sie kaum an. Er dachte nach. Er wußte, daß seine Zukunft auf uner- wartete und unerträgliche Art belastet war. Er rechnete, und als ihm klarwurde, daß seine Karriere zum Teufel, daß er ruiniert war, zer- brach er den dürren Zweig, den er unklammert hielt. Es war ihm, als sei der Stab über einen Unbekannten gebrochen, und er blickte sie an wie ein Feind blickt. Und er sah, daß sie weinte. Sie weinte auf die lautlose Art, die Tränen liefen ihr an den Sei- ten des Gesichtes hinab ins Haar. Ihre Augen starrten in den Himmel. Zuweilen schnaufte sie. Er wurde fast besinnungslos vor Wut. Er sprang auf und ging langsam an das Kopf- ende der Kribbe. Er hörte sie hinter sich her- kommen. Dann sprang er ins Wasser, um zu- rück zu schwimmen. Er hörte, daß sie ihm folgte. Das Wasser war warm, und der Rhein- sand rauschte in den Ohren. Sie wurden beide abgetrieben und schwammen langsamer als vorher. Als sie die Mitte des breiten Stromes wortlos erreicht hatten, schrie sie auf. Er blickte rasch zu ihr hinüber. Sie kämpfte mit dem Wasser. Ihr zweiter Schrei war durch das verschluckte Wasser sehr leise, und ihren drit- ten Schrei hörte man kaum. Er war so leise wie ein Seufzer. Sie ging unter. Er ließ sich gleich- falls treiben und warf die Arme in die Luft, als kämpfe or selber mit dem Untergang, aber er wußte, daß er hier instinktiv ein Alibi aufbaute, um späteren Anklagen zu entgehen. Es waren nur Sekunden, die vergingen, Sekunden, in denen jene mitten im Strom treibende Frau mit dem Tode kämpfte, und in denen er gleichfalls als ein Hilfloser stromab trieb. Wenn in diese Lungen dort im Strom ein wenig Wasser zuviel drang, war sein Leben, seine Karriere, war er gerettet. Er hatte keine klaren Gedanken, es war eine winzige Willkür für Sekunden, die ihm pfiffig riet, die Hände nicht zur Rettung jener Frau dort zu erheben. Ein Paddelboot rettete sie. Dabei half er bereit- willig. Als sie sich am Ufer erholt hatte und sich aus dem Sand erhob, bing sie an ihm vor- bei, als sei er ein Stein. Am nächsten Tag verließ sie die Stadt. Sie wechselte später die Universität, und er hörte nie wieder von ihr. Er wurde übrigens ein ge- achteter Mann, aber er haßte das Wasser, als sei der große, gute Rhein, der uralte Strom, der Feind gewesen. Aber der Riese zwischen den Ufern hate seit grauen Jahrtausenden die Menschen einander lieben und hassen ge- sehn, er trug ihr Blut, ihre Todesseufzer und ihre Gelächter gelassen ins Meer. Es wechsel- ten die Menschen an seinen Ufern, aber nicht die Leidenschaften, denn diese überdauern die Paare in den Uferwiesen wie der uralte Strom. In der Buchhandlung Foto: wnl McBride
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