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Aufwärts
Jahrgang 15, Nr. 9 (September 15, 1962)
Wiebe, Philipp
Weißt du noch?, p. 18
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Ias Restaurant war nur mäßig besetzt, ich hatte die Speisekarte geprüft und blickte :h suchend nach einem Kellner um. Da er- inte ich ihn, der mir den Rücken zukehrte, seinen abstehenden Ohren und dem roten ar. Er saß nicht weit von mir entfernt einer tu gegenüber, deren volles, etwas ältliches. ichwohl recht hübsches Gesicht Lange- ile zeigte. schwankende Feder und ein Wams aus Büffel- leder. <Weißt du", sagte er dann auch einmal zu mir, <Krieg und Kommiß sind widerlich. Aber die Auszeichnungen, die man jetzt gewinnen kann, sind nicht zu verachten. Was meinst du, wie wild heute die Mädchen auf Ritterkreuz- träger sind l" Im Oktober 1944 wurde ich endlich so schwer verwundet, daß ich der Front für immer ent- zogen werden mußte. Von Freddy hörte ich nichts mehr, und es drängte mich später auch nicht, nach ihm zu forschen. Ich hatte genug damit zu tun, mich an meine Unterschenkei- prothese zu gewöhnen und auch daran, allein zu sein - ohne Familie. Und nun saß er fünf Meter von mir entfernt. Ich ging an seinen Tisch und sagte: ,Freddy", als ich vor ihm stand. sunaH11 ua soear gewe..,,, eugt.m *|W. .; von Befürchtungen ab, die als unsoldatisch galten, nämlich jenen Befürchtungen. in Ruß- lands Steppen das Leben zu verlieren. Freddy konnte ebensogut erzählen wie auf seiner Gitarre spielen. Ein Lied liebte er be- sonders, und der Text erschien mir derart wahnwitzig, daß ich ihn geradezu komisch fand: ~Papa Stalin sitzt in Moskau, und er sorgt für unser Glück. Wir leben und wir sterben für die Sowjetrepu- blik. Komm, laß doch fahren, was früher einmal war! Anuschka, schenke ein aus dem neuen Samo- warl" Die Melodie war zündend, und viele, die mit uns im Viehwagen des Transportzuges kau- erten, sangen mit: Soldaten, die gegen Papa Stalin und die Sowjetrepublik in den Krieg ge- schickt wurden. Wenn Freddy nicht auf seiner Gitarre klim- perle, erzählte er von seinen Erlebnissen mit Mädchen. Unerhörtes wußte er zu berichten, wild wucherte seine Phantasie, keiner ver- mochte sich seinen Erzählungen zu entziehen, und keiner glaubte sie ihm. Breitschultrig, sommersprossig, rothaarig, mit abstehenden Ohren und einem Raubtiergebiß, lässig in seinen Bewegungen, respektlos gegen Vorgesetzte, kam mir Freddy oft wie ein Lands- knecht vor: Ihm fehlten nur ein Berett, die Hintgrland eingesetzt, während die, die man zu diesem ,Handwerk" zwingt, ins ,Stahlbad" geschickt werden. Berufssoldaten, die etwas ausgefressen haben, pflegt man zur Strafe an die Front zu versetzen. Ich wußte nicht, wofür ich kämpfte, denn die Behauptung, ich täte es zum Schutz meiner Eltern, meiner Geschwister, erwies sich schon bald als törichte Phrase, nachd6m ich die Nachricht erhalten hatte, Eltern und Geschwi- ster seien durch eine Fliegerbombe getötet worden. Freddy hingegen kämpfte für sein Ritterkreuz. Kein Stoßtrupp, dem er sich nicht freiwillig anschloß, keine Tollkühnheit, die er nicht be- ging. Dreimal wurde er verwundet, kam aber immer wieder nach kurzer Zeit zurück, und schließlich, seit zwei Jahren waren wir im Ein- satz, erhielt er sein Ritterkreuz und einen Son- derurlaub, von dem er mit der Nachricht zu- rückkam, sich mit einem bildschönen Mäd- chen verlobt zu haben. In den zwei danach fol- genden Monaten, die wir noch beisammen ,waren, beobachtete ich an Freddy eine Ver- änderung: Er hatte plötzlich Angst, ließ keine Gelegenheit aus, Krieg und Militär zu verflu- chen, und nur, weil er Ritterkreuzträger war, klagte man ihn nicht des Defaitismus an. Der Krieg, wir an der Front wußten es längst, war verloren, und im stillen frohlockten wir, denn nach einer Niederlage würde uns so schnell keiner mehr in eine Uniform zwingen. seinem Ritterkreuz erobert hatte. Ein erinnerndes Gespräch begann, dem Fred- dys Frau mit verständnislosem Wohlwollen zuhörte. <Weißt du noch, Hannes, wie in Charkow mei- ne Gitarre zerschossen wurde?" <Weißt du noch, Freddy, wie wir immer san- gen: Papa Stalin sitzt in Moskau...?" <Weißt du noch, Hannes, wie wir in Stalino fünfzig Eier organisierten?" <Weißt du noch, Freddy, wie Hauptmann NeS- her bei Mariupol stiften ging?" ~Weißt du noch, Hannes, wie wir den Augen- arzt trafen, der mit Tolstois Sohn zusammen auf der Schule war?" <Weißt du noch, Freddy, wie Edgar bei Cher- son fiel?" <Weißt du noch, Hannes, wie ich bei Uman drei Panzer knackte?" <Weißt du noch, wie verzweifelt wir waren, Freddy?" Freddy schwieg. <Weißt du noch, Freddy, wie wir uns schworen, nie wieder eine Uniform anzuziehen?" Freddy schwieg. Seine Frau jedoch hob die Augenbrauen und fragte: <Stimmt das, Fred?" Freddy blickte verlegen zur Seite und nickte. Ich lachte. <Natürlich stimmt das, gnädige Frau! Wir hatten nämlich die Schnauze -Par- donl - voll. Und ich glaube nicht, daß sich heute Frontsoldaten wieder freiwillig zum Mili- tär melden. bie Aktiven vielleicht, aber ein da- plodieren", sagte ich. ~Lieber tot als rot", sagte Freddys Frau mi Nachdruck. Und um sie zu erobern, hatt Freddy also für sein Ritterkreuz gekämpft. <Warum trägst du denn da Zivil? Warum trägs du nicht Uniform und Ritterkreuz?" fragte ic Freddy. ~Habe Urlaub", murmelte er. <Und es gab wirklich keinen anderen Job fü dich, Freddy? Du träumtest doch damals da von, eine Jazzband zu gründenl" Freddy zuckte die Schultern und vermied es seine Frau anzublicken. Die antwortete fü ihn: <Ja, er hat versucht, diese Negermusik z spielen, aber das brachte kein Geld. Heute ver dient Fred vielleicht mehr als Sie!" <Möglich", sagte ich und erhob mich. Ic blickte auf Fred hinunter, sein Gesicht wa jetzt so rot wie sein Haar. Zweifellos schämt er sich seiner Frau. Es war mir klar, daß sie ihi zum Militär gedrängt hatte, schließlich haft sie einen Ritterkreuzträger geheiratet und kei nen Jazzband-Leaderl <Bitte Herrn Major, mich zurückziehen zu dür fen!" sagte ich und zog meinen rechten Unter schenkel an die Prothese. Da reckte sich Freddys Frau auf und zwan[ ihren Mann, sie anzusehen. Freddy schlug jetz unvermittelt auf den Tisch: ~Ich verbitt mir..." begann er, doch ich drehte mich ur und verließ das Restaurant. Der Appetit wo mir vergangen.
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