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Aufwärts
Jahrgang 15, Nr. 9 (September 15, 1962)
Buzzati, Dino
Die Lektion des Jahres 1980, pp. 10-11
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lichsten Punkt des Kalten Krieges und der Spannung zwischen dem kommunistischen und dem westlichen Block angelangt. Es han- delte sich um den Besitz des Kraters Koperni- kus auf dem Mond. Auf dem weiten, an selte- nen Metallen reichen Gebiet befanden sich dort amerikanische und ruasischeBesatzungs- truppen, die einen in einem zentralen, verhält- nismäßig engem Raum gedrängt, die anderen rund darum. Wer war als erste Macht dort ge- landet? Wer konnte ein Vorzugsrecht für sich behaupten? Gerade einige Tage vorher, am Weihnachts- abend - und das war in den ~freien" Ländern als eine besonders geschmacklose Geste an- gesehen worden -, hatte Kuruln wegen des Kopernikus-Krers eine ziemlich heftige Rede gehalten, In der er ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, die Übermacht Rußlands in .de- kompresslven Waffen" (denn die thermonukle- aren, einst das Schreckensgespenat der inter- nationalen Konflikte, waren längst zum alten Eisen geworfen worden) unterstrichen hatte. ,Die Verantwortlichen dieser neuen kapitli- stischen Herausforderung", hatte er in einem Stil ausgerufen, der an den seligen Chru- schtschow erinnerte- <haben aber die Rech- nung ohne den Wirt gemacht. Wir sind heute In der Lage in 25 Sekunden alle Einwohner ihrer Länder wie Luftballons zum Platzen zu bringen." Und damit spielte er auf geheime Vorrichtungen an, mit denen es möglich Ist, über-weite Landstriche hinmit aßen daraus resultierenden tragischen Folgen, den atmo- sph*rischen Druck aufzuheben. An die Beredsamkeit des großen Rivalen ge- wöhnt, hatte man im Westen den Wutausbruch Kurulns nicht allzu wörtlich genommen. Doch hatte man sich auch den Ernst der Lage nicht verhmlicht: Es schien, als zeichne sich auf dem Mond ein hundertfach vergrößertes Dien- Bien-Fu ab. Der unerwartete Tod Kurulins bedeutete des- halb für Amerika eine unendliche Erlösung. Auf russischer Seite hingegen war die Trauer um so größer, doch zeigte es sich bald, daß das begonnene Jahr reich an überraschenden Ereignissent sein sollte. noch aus. Natürlich, es hätte ja auch ein zufäl- liges Zusammentreffen sein können. Aber gerade diese Hypothese war schlecht zu ver- dauen: denn Kdrufin hatte ebenso wie Fredik- son bis zum letzten Augenblick eine eiserne Gesundheit bea.sen. unter den Beobachtern vermeinten den Me- chanismus dieses schrecklichen Phänomens entziffern zu können: Durch einen göttlichen Urteilsspruch raffte der Tod jede Woche jene hinweg, die die Mächtigsten unter den Men- schen waren. wollte. Gleichzeitig hielt der uralte General de Gaulle, mythischer Herr Frankreichs und überzeugt davon, der Erwählte zu sein, mit dem Rest von Stimme, die ihm geblieben war, eine edle Ab- schiedarede an sein Land, in der er - nach der brannte unter den Nägeln. Die Großköpfe der Politik, der Industrie und der Finanz kämpften verzweifelt darum, sich gegenseitg zu bewei- sen, weniger als die anderen wert zu sein. Alle wurden.bescheiden, senkten die Flügel und er- gingen sich in pessimistischen Reden Ober die Die Mondsüchtigen I
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