Page View
Aufwärts
Jahrgang 8, Nr. 20 (September 29, 1955)
Hirsch, Kurt
Von der politischen Vergeßlichkeit, p. [2]
Page [2]
Vielleicht entsinnt sich der Leser jener Ge- schichte von Mark Twain, in der von einem armen jungen Mann erzählt wird, der von zwei unbekannten Leuten einen Scheck über eine Million Dollar erhält, den er nicht ein- lösep darf und zu einem bestimmten Zeitpunkt weder abgeben muß. Es ergeht dem jungen Mann nun so, daß er nur durch die Vor- weisung des Schecks alle Türen geöffnet fin- det, in die höchste Creme der Gesellschaft hineinkommt und sogar von Banken Kredite eihält. Er gilt für sehr reich, wird angesehen, und die, die ihn bisher über die Schulter an- sahen, katzbuckeln nun vor ihm. Der Traum vom reichen Leben ist zu Ende, als er den Scheck zurückgeben muß, So ähnlich ist es Adenäuer mit dem Scheck der Politik der Stärke ergangen, der ihm von einigen Regierungen ausgestellt wurde, Er wurde zwar von vielen Menschen gewarnt und darauf hingewiesen, daß der Scheck nur eine Leihgabe sei, aber er schlug die War- nungen in den Wind und ließ sich auf ein Abenteuer ein, durch das er die deutsche Einigung gegen einen mächtigen Gegner erreichen wollte, obwohl der Gegner ihm sagte, daß er mit einem solchen Scheck bei ihm nichts erreichen könrne. tig. Er machte gute Miene zum Spiel, das mit ihm getrieben wurde, und beschloß, mit der Sowjet-Union nunmehr diplomatische Be- ziehungen aufzunehmen, Und die Superlative in den großen Zeitungen vieler Länder, die ihn als den größten Politiker Europas bezeich- net hatten, verschwanden. Zwar bewundert man immer noch die körperliche Elastizität des fast Achtzigjährigen, aber die <Elastizität', mit der das Abkommen von Moskau unter- zeichnet wurde, hat doch sehr verschnupft. Diese Verschnupfung geht auch nicht weg, wenn Adenauer nunmehr in bewegten Tönen seine Treue zu den Abmachungen mit den Westmächten verkündet und mit einer Forsch- beit, die einer besseren Sache würdig wäre, nach aufgestellten Terminen die westdeutsche Aufrüstung betreiben will, was nach den Er- eignissen der letzten Tage die ebenso schnelle Aufrüstung der Ostzone nach sich ziehen wird. In einer Periode der Entspannung der Welt- situation also zwei sich gegenüberstehende Armeen in einem zweigeteilten Deutschland. in der Politik der Großmädhte nur selten einen praktischen Niederschlag. Eine rühm- liche Ausnahme sei vermerkt: Es ist die Ge- währung der nationalen und politischen Frei- heit Indiens durch die englische Arbeiter- regierung. Eine politische Maßnahme, die sich In mehr als einer Hinsicht in der Weltpolitik segensreich bemerkbar gemacht h,:'. denn mehr oder minder ist die entspannte Weltlage der Tätigkeit Nehrus zu verdanken. Nicht nur Verfassungsfragen sind Macht- fragen, auch die Wiedervereinigung Deutsch- lands ist eine solche. Die Aufnahme diplomati- scher Beziehungen mit Moskau hat nichts daran geändert, daß die Deutschen über ihre staatliche Einheit nicht das letzte Wort zu sprechen haben. Die Großmächte werden es sprechen. Sie werden, wenn ihre Ent- spannungspolitik weitergeht - wozu das Ge- spenst der Wasserstoffbombe sie allem An- schein nach zwingt -, kein wiedervereinigtes Deutschland etablieren, das zwischen Ost und West eine Schaukelpolitik betreiben kann. haben einige aus ihren Reihen beauftragt, ihre Forderungen zu vertreten. Meiner Meinung nach hätte sich die Gewerkschaft voll und ganz vor die Streikenden stellen müssen, zu- mal nun auch die Gefahr einer Zersplitterung der Streikenden nicht mehr vorhanden war. Statt dessen kommt man her und schreibt von einem <wilden Streik'. - Ubrigens stimmt es nicht, daß der Streik zur Zulriedenhelt beider Teile beigelegt worden ist. Mag sein, daß der Chef zufrieden ist. Hofentlich kommt die Zu- friedenheit bei der Belegschaft noch. Karl Heinz Frese, Kassel Ers¢hdirkn Nicht gering war mein Erschrecken, als Ich den -Aufwärts Nr. 18 bekam und den Bericht <Meine erste Liebe' las. Damit hat sich unsere Zeitung auf das gleiche niedrige Niveau ge- stellt wie die zahlreichen Illustrierten, die aus reinen Werbegründen solche Leserzuschriften veröffentlichen. Ich gebe gern zu, daß ihr mit diesen Artikeln jugendlichen Lesern helfen wollt. Aber diese Absicht muß scheitern. Ihr könnt demjenigen, der fragt, schriftlich einen Rat geben - der immer unvollständig sein wird, weil die vielen Einzelheiten der Situation des Anfragenden nicht bekannt sind. Völlig undenkbar aber ist, daß ein Rat, der für den einzelnen gedacht ist, auch für die anderen Leser bedeutsam sein kann. Joachim Gräbner, Ruckingen Wunderbar Ich versäume nie, die Leserbriee und die Aus- kunft im Aufwärts zu lesen. Uberhaupt ge- fällt mir die Zeitschrift sehr gut - bloß bringt sie manchmal etwas zu stark ans Tageslicht, was einigen Leuten nicht paßt. Den Artikel ,Meine erste Liebe» land ich wunderbar. - Auch ich habe großen Kummier durch die erste Liebe bekommen. Ich hatte eine sehr begabte und hübsche Freundin, Wir haben uns seiner- zeit durch ein Preisausschreiben brieflich kennengelernt. Nach dem vierten Brief ging es per <Du'. Sie bekam von mir einige Bilder, worauf sie mir auf russisch schrieb: <Ich liebe dich', (Ich muß einschalten, daß das Mädel aus der Ostzone ist. Sie lebt auch jetzt noch dort.) Vor lünf Wochen konnte ich sie bei ihren Ver- wandten, wo sie zu einem Besuch wellte, per- sönlich kennenlernen. Ich wurde sehr nett empfangen. Aber nach einigen Stunden Aufent- halt mußte ich wieder weiter und fuhr mit dem Zug zu meinen Eltern. Seit der Zeit habe ich nichts mehr von ihr gehört, obwohl ich ihr einige Briee und Karten schrieb. Sie meldet sich einfach nicht mehr. Ich gebe nun meine Hoffnungen auf und möchte sie vergessen. Die ,erste Liebe* hat mich sehr verletzt. Nun möchte ich gern einen Briefwechsel mit einem Mädchen im Ausland beginnen. Vielleicht er- lebt man dabei keine Enttäuschungen. Am liebsten wäre mir ein Briefwechsel in Deutsch nach Schweden oder Holland. W. W., Recklinghausen (eventuelle Zuschrif- ten zunächst über ,Aufwärts'). mußte er bekennen, <daß man die Sowjet- Union nicht beleidigen dürfe und sie <eines der mächtigsten Staatsgebilde der Erde ist". Die Pleite der Politik der Stärke war eindeu- anderen Zypern, der dritten Marokko, das ist nach wie vor für die Sowjet-Union die Ost- zone Deutschlands. Die so oft und gern de- klamierte Selbstbestimmung der Völker findet fu ue Wieuervereinigung, wenn wir aaran denken, daß In Deutschland das Militär immer ein schlechter Ersatz war für mangelnden friedlichen Geist und mangelnde Gerechtigkeit im staatlichen und sozialen Leben? Von der politischen Vergeßlichkeit Von Kurt Hirsh Als eines der ernsthaftesten und bedenklichsten Symptome unserer Zeit ist die politische Ver- geßlichkeit zu bezeichnen, und es gibt nicht wenige, die sich diese Tatsache bei der Ver- folgung ihrer durchaus nicht immer demokra- tischen Ziele zunutze machen. Die Republik ist in Gefahr! Die Demokratie schlägt zul Der Werwolf soll als Partisanen- organisation wiederkehrenl Ku- Klux- Kian! Vom <Bund ohne Jugend zur Femeorgani- sationl BdJ ist ein Stoßtrupp gegen die Demo- kratiel Partisanenaffäre des BdJ wird gericht- lich untersucht! - Das waren einige der Schlagzeilen, die in den ersten Wochen des Jahres 1953 das Bild der deutschen Presse beherrschten. Nachdem das hessische Innenministerium an Hand einwandfreier Dokumente die Offent- lichkeit über die antidemokratischen und ver- fassungsfeindlichen Umtriebe des BdJ und seines <Technischen Dienstes' informiert hatte, beschäftigte sich im Juli 1953 der Unter- ausschuß des Bundestagsausschusses zum Schutze der Verfassung mit diesen Vorkomm- nissen und gelangte zu folgender Entschei- dung, die wir nachstehend auszugsweise wiedergeben: 1. Der BdJ stellt mit seiner Nebenorgani- sation, dem TD, bzw. Partisanenorganisation (Sicherheitsdienst), in personeller und ideeller Hinsicht weitgehend eine Einheit dar . . 2. ... Der BdJ hat aber eine Entwicklung ge- nommen, die eine ernste Gefährdung der demokratischen Staatsordnung und eine Störung des inneren Friedens in Deutschland darstellt. 3. Die führenden Leute des BdJ haben zweifel- los daneben die idealistische Zielsetzung des BdJ benutzt, um auch Geldmittel zur Befriedi- gung ihrer eigenen persönlichen Bedürfnisse zu erhalten, 4. Die bedenkliche Entwicklung ist jedoch da- durch erleichtert worden, daß die zuständigen Behörden sich viel zu lange über den wahren Charakter des BdJ haben täuschen lassen; insbesondere haben die örtlichen Polizei- stellen und ebenso einzelne Bundesministerien Diese Resolution wurde von dem Ausschuß, in dem die Mitglieder aller großen Parteien vertreten sind, einstimmig bei einer Stimm- enthaltung gefaßt. Einer der BdJ-Funktionäre, gegen die damals die Behörden in Frankfurt einschreiten muß- ten und deshalb von Herrn Euler der <Unter- stützung des Kommunismus' bezichtigt wur- den, war der Landesführer des BdJ-Nordrhein- Westfalen, Alfred Heise. Der Genannte wurde einige Wochen später wegen eines Mordes, den er am 17. April 1945 an einem jungen Wehrmachtsunterarzt begangen hatte, ver- haftet. Der Arzt hatte sich in antinazistischem Sinne geäußert und wurde deshalb von dem ehemaligen HJ-Bann- und Werwolfführer Alfred Heise und zwei anderen Nazis ohne gerichtliche Untersuchung erschossen. Alfred Heise zählte auch zu den staatstreuen Kräf- ten, von denen Herr Bundestagsabgeordneter Dr. Martin Euler sprach... Wenn wir bereit sind anzunehmen, daß die Festredner und Förderer des BdJ vor der Auf- deckung der Partisanenaffäre der Meinung waren, es handele sich hier wirklich nur um eine antikommunistische Jugendorganisation, und daß sie in dieser Meinung dadurch be- stärkt wurden, daß das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen den BdJ als <eine förderungswürdige Organisation« bezeichnet hatte; daß die BdJ-Prominenz im Bundes- innenministerium und im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen aus- und einging; daß sich der BdJ in seinen Bettelbriefen an Industriefirmen, in denen er sich für den Auf- bau eines antigewerkschaftlichen Betriebs- schutzes anbot, auf Regierungsstellen berufen konnte; daß der BdJ vom Bundesinnen- ministerium aus Verfassungsschutzmitteln und vom Ministerium Kaiser finanzielle Zuwen- dungen erhielt; daß Bundeskanzler Dr. Aden- auer zu einer BdJ-Kundgebung ein Begrüßungs- telegramm sandte und daß er sich noch kurz vor der Aufdeckung der Partisanenaffäre mit zehn uniformierten BdJ-lern fotografieren ließ - wenn man dies alles anzunehmen bereit ist, dann hätten sich doch die in ihrem anti- kommunistischen Rausch verführten Politiker die Unternehmer wandte und diesen sich an- bot, im Betrieb die Uberwachung <radikaler Elemente" zu übernehmen. Es gab nicht nur einen BdJ, sondern auch eine .Gesellschaft zum Studium sozialer Beziehun- gen", die <Partisanen für den Tag X" schulte und vorbereitete und deren Vertreter zu Mit- gliedern des Bundesvorstandes der Jungen Union (CDU) beste Verbindung hatten. Es gab nicht nur einen BdJ, sondern auch einen <Stoßtrupp gegen bolschewistische Zer- setzung' - eine illegale Formation, die sich in Kreisen bayrischer Jungdemokraten (FDP) großer Förderung erfreute. Es muß bedenklich stimmen, daß man gegen die hier angeführten Organisationen von seiten der deutschen Behörden immer erst dann eingeschritten ist, wenn Kontakte oder Querverbindungen zu der Sowjetzone von diesen Vereinigungen und Formationen fest- gestellt wurden. Sind denn faschistische Organisationen erst dann verfassungsfeind- lich, wenn sie mit den Kommunisten paktieren? Anscheinend in den Augen verschiedener Leute schon, denn das .Freikorps Deutsch- land" und die .Bruderschaft" wurden erst dann verboten, als solche Verbindungen festgestellt worden waren. Ohne sich einer Ubertreibung schuldig zu machen, muß man feststellen, daß in keinem Fall den Verantwortlichen für die staatsfeind- lichen Umtriebe ernsthafte Nachteile aus ihrer Tätigkeit erwachsen sind - soweit sie sid überhaupt zu verantworten hatten oder eing Untersuchung eingeleitet wurde. Der Reigei, der Freisprüche und des Niederschlagens des Verfahrens wird nun durch die Entscheidung des Oberbundesanwalts, Carl Wiechmann, der das Verfahren gegen die Angehörigen des ,Technischen Dienstes" dieser Tage einge- stellt hat, vervollverständigt. Und - dies sei vorweggenommen - es handelt sich hier um eine unverständliche Entscheidung, denn wenn man selbst auf Grund des Besatzungsstatuts die <Verantwortlichen' nicht dafür bestrafen kann, was sie im Auftrage einer ausländischen oEr keine <erste Liebe', würde t einem jungen Schweden oder in <brielwedseln', Vor zwei ich mit den <Falkefn' eine vier- tudienreise nach Schweden ge- ist immer noch eine kleine Sehn- in für mich in so vielen Dingen nicht gerade r dem großen relk bei Hen- * man die Be- . Daß es dann Kekhe ,ie Ich such aber ger einer So Jahren ]h zehnlägig macht. Da ei um'eir
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright