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Aufwärts
Jahrgang 8, Nr. 6 (March 17, 1955)
Wiebe, Philipp
Bill Warren's Besuch, p. 4
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Von Philipp Wiebe Bill Warren gehört nicht zu jenen Amerikanern, deren Stolz es ist, in allen Lebenslagen eine Sicherheit zu demon- strieren, von der sie annehmen, sie sei ein Privileg des reichsten und mächtigsten Landes der Welt. Bill Warren, der Physiker aus USA, ist sich im Gegensatz zu diesen Landsfeuten immer des peinlichen Gefühls bewußt, hinter sich eine große Macht zu haben; er kennt dies beschämende Gefühl des Stärkeren, der außer seiner Stärke auch noch das moralische Recht auf seiner Seite hat. - Bleibt nur die Frage: Warum war Dr. Heinemann als Gegner Adenauers für ein Amt nicht mehr tragbar, in das man ihn als Minister Adenauers gewählte hatte? -Westdeutschland und Südkorea sind die einzigen wirklich überzeugten Gegner des Kommunismus in der Welt", erklärte der südkoreanische Staatspräsident Syngman Rhee in einem Interview mit der deutschen Zeitung <Die Welt'. ~Wir hoffen", so fuhr der Präsident fort, <daß die westlichen Mächte nicht nur fest stehen, sondern vorwärts gehen werden, um die ver- sklavten Völker jenseits des Eisernen Vorhangs zu retten." Leider sei der koreanische Krieg nicht bis zum Sieg fort- geführt worden. - Der Unterschied zwischen Deutschland und Korea ist also offensichtlich nur der, daß Korea bereits einen nutz- losen Krieg hintei sich hat, während wir... I Vor dem schwedischen Reichstag vertrat der schwedische Außenminister Unden die Auf- fassung, daß die Teilung Deutschlands auf unbestimmte Zeit hinaus bestehenbleiben werde. ~,Die Vorstellung, daß nach der Ratifizierung der Pariser Verträge der Weg zu einer aussichtsreichen Konferenz über die Wiedervereini- gung angebahnt ist, Ist leider wenig begründet." - Und die Schweden verfügen über eine sehr fundierte Erfahrung über die Sowjet-Diplomatie! Leben zu bleiben! zBei den Wahlen im indischen Staat Andhra hat die Kongreßpartei Nehrus einen großen Sieg davongetragen, während die Kommunisten vernich- tend geschlagen wurden. Von den bisher innegehabten 46 Sitzen verblieben ihnen noch 15, während die Partei Nehrus ihre Mandate von ebenfalls 46 auf 119 erhöhen konnte. - Nehrus Methode, den Kommunismus in Asien zu be- kämpfen, scheint besser zu wirken als die Brandreden des amerikanischen Außenminister Dulles. SNach einer einwöchigen Pause wurden in London die Abrüstungsgespräche zwischen den drei Westmächten, der Sowjet-Union und Kanada fortgesetzt. Der stellvertretende Sowjet-Außenminister Andreij Gromyko gab den Konferenzteilnehmern ein Früh- stück, auf dem die auserlesensten Speisen der Sowjet- Union serviert wurden. Anschließend trat die Konferenz zu einer Arbeitssitzung zusammen. - Jetzt wissen wir. warum Konferenzen mit den Russen Und auch jetzt, im schaumgummigepolsterten Sessel des durch die Luft zischenden Flugzeuges, auch jetzt, als sein Blick die Küste des europäischen Festlandes einfing, auch jetzt überflutete ihn eine Welle der Sympathie für diesen alten, vor zehn Jahren von den Amerikanern befreiten und eroberten Kontinent. Er freute sich auf das Wieder- sehen mit Deutschland, dem Land, das er einst mitbekämpft und besiegt hatte. Aber irgendwo war in ihm. auch ein Gefühl des Unbehagens, dessen Ursprung, wie er genau wußte, ebenfalls auf Deutschland zurückzuführen war. Er betrachtete eine Zeitlang seine Mitreisenden: schwere weißhaarige Männer meist, die schläfrig in ihren Sesseln lagen und zwischen deren Füßen dicke hellgelbe Akten- taschen standen. Während des eintönigen Fluges hatte er festgestellt, daß sich die meisten dieser Männer kannten. Es war ihre übliche Route - die Route Neuyork-Frank- furt -, eine profitliche Route, wie Bill Warren aus den knappen Gesprächen entnehmen konnte. Nur er schien nicht in Geschäften unterwegs zu sein. Er wollte Günter besuchen, Günter Ronke in Frankfurt am Main. Bill Warren blickte aus dem Fenster der <Super Constella- tion" auf Europa hinab, das unter Ihm vorbeigltt. Seine Augen tasteten die Erde ab, über die er vor zehn Jahren gefahren, marschiert und gekrochen war und in die er sich oft mit verzweifelter Hast eingegraben hatte. Aus dem Lautsprecher tönte die Stimme des Piloten in die Passagierkabine: <Wir überfliegen die deutsche Grenze!" Und kurz darauf sah BiII Warren den Rhein... Erreichung das Ende des Verdammten Krieges sein sollte. <Wenn wir am Ufer des Rheins stehen, werden sie schon kapitulieren, die Deutschenl", das war eine der wenigen glaubwürdigen Parolen gewesen, die sich aber trotzdem - wie die meisten Parolen aller Heere der Welt - als unrichtig erweisen sollte. till Warren hatte wie alle ande- ren geschimpft und geflucht - auf die verblendeten Deutschen -, hatte den Rhein <überschritten" (seine Ein- heit zählte 54 Tote!), und tr war auch dabei gewesen, wie Frankfurt am Main genommen wurdei In einem Jeep, hinter einem schweren Maschinengewehr sitzend, war er als einer der ersten amerikanischen Soldaten durch die zertrümmerte Stadt gefahren. Vorsichtig - wie es ameri- kanische Art war - beobachteten er und sein Fahrer die stummen, meist leeren Hausruinen, sichernd schwenkte das Maschinengewehr auf verdächtige Fensternischen und Hausecken; die Stille der toten, eroberten Stadt wurde durch das beruhigende Summen des leichten Aufklärungs- flugzeuges unterbrochen, das dicht über den Straßen kurvte, bereit, jede eventuelle feihdliche Bewegung an die Artil- lerie zu funken. biner seitwärts in die Trümmer, sprang geschickt.von dein Steinbrocken auf die Straße, kam nahe, ganz nahe an den Jeep heran, fuhr blitzschnell mit der Hand in die Tasche seiner dunkelblauen Trainngshose und warf mit spiele rischer Geschicklichkeit ein dunkles eiförmiges Ding in den Jeep. Der Fahrer schrie: <Damned!, bückte sich hasti unter sein Steuerrad und schmiß dann die Handgranate in weitem Bogen hinter sich auf die Straße. Bill Warren riß gleichzeitig das MG herum, und da fiel sein Blick auf das spöttische Jungengesicht. <Keine Bange! Die hatte keinen Zünder mehr!" sagte der Bursche gleichmütig, und dann das spöttische Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht, hob er langsam die hageren Arme und sagte: <Ich kapituliere!' Bill Warren und sein Fahrer saßen einen Augenblick sprachlos, doch dann verzogen sich ihre staubbedeckten Gesichter gleichzeitig zu einem anerkennenden Grinsen. .Willst du mitfahren?» fragte Bill Warren. Klar!" rief der Junge begeistert. <Klar, werde Ihnen bei der Eroberung helfen!" Und alle drei - die beiden US-Soldaten und der Junge - hatten schallend gelacht... Das war die erste Begegnung Bill Warrens mit Günter Ronke gewesen, einem Jungen, der keine Angst mehr kannte und der Vertrauen zu den siegreichen Soldaten hatte.- An jenem Tage endete der irrsinnige, dreckige Krieg für Bill Warren und Günter Ronke. Bill wurde in Frankfurt stationiert, und er hatte den Jungen gefragt, ob er bei ihm bleiben wolle. Günter hatte sofort geantwortet: ,Klar, Bill, wo soll ich denn sonst hin!" Und bei diesen Worten schien sein Gesicht sekundenlang alt und müde zu werden. Bill ahnte plötzlich, daß die Frechheit und Un- bekümmertheit nur eine Maske waren, eine Maske, die er noch bei manchem deutschen Kind finden sollte. Er fragte und erfuhr, daß Günter seine Eltern verloren hatte: den Vater irgendwo ýam Dnjepr in Rußland, die Mutter in einem jener Keller, auf denen unheimlich hohe Schuttberge in gräßlicher Unzugänglichkeit ruhten. Bill keine Mühe, den Jungen für die demokratischen Grundregeln zu begeistern. Dieser begriff schnell, welch große Sache die Verfassung der Vereinigten Staaten ist, und auch die hohen Begriffe des <Amerikanischen Glaubens- bekenntnisses": <Freiheit», <Gleichheit", Gerechtigkeit", <Humanität', wurden ihm unter Anleitung Bill Warrens verständlich. - Trotz seiner jungen Jahre hatte Günter viel - zuviel! - erlebt; vor allem wußte er, was Krieg bedeutete - wußte es besser als der Soldat Bill Warren. Und daher war er glücklich, als Bill ihm den achten Punkt der <Atlantic Charter" vorlas: <Alle Völker der Welt müssen aus praktischen und sittlichen Gründen vom -Ge- brauch der Waffengewalt abkommen!" ,Mensch, Bill, das wäre doch fabelhaft. Dann könnte es nie wieder Krieg geben, wenn keine Waffen mehr da wären!" hatte Günter gerufen. ,Natürlich wäre das fabelhaft", hatte Bill lächelnd geant- wortet.<Und wir Amerikaner werden dafür sorgen, daß es in deinem Land keine Waffen mehr geben wird. Kannst Jugendzeitschrift des De Verlag: Bund-Verlag Gr Verlagsleiter: Wilhelm Bie tung: Hans Dohrenbusch. ( Plötzlich trat Bill Warrens Fahrer scharf auf die Bremse. Hundert Meter vor ihnen stand auf einem schweren Stein- brocken ein Junge, der, einen Karabiner in den Händen, ihnen furchtlos entgegenblickte. Bill Warren nahm den Lauf des Maschinengewehrs herunter und richtete ihn nach- lässig auf den Jungen, der Jeep fuhr vorsichtig weiter, und als die beiden Amerikaner auf fünf Meter an den schen Gewerk- Jungen herangekommen waren, rief dieser mit heller H., Köln-Deutz, Stimme: <Good morning, fellows!" '-Eill Warren stieß rf. Verantwort- beschämt den Kolben des MGs herunter und rief auf phische Gestal- deutsch - eine Sprache, die ihn sein Großvater gelehrt AUFWÄRTS hatte: <Wirf den Karabiner weg!" Der Junge auf dem allen Jugend- Steinbrocken lachte auf, hob den Karabiner hoch, und die reis durch die beiden Soldaten sahen nun, daß das Schloß fehlte. Der ühr. Unverlangt Fahrer lachte und stellte den Motor ab. Und Bill Warren orto beigefügt frate in die entstandene Stille: Was tust du denn hier?" Fortsetzung Seite 6 t r r t 1 m
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