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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 18 (September 8, 1951)
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Paul Gauguin 1848-1903, p. 11
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rechtigkeit ein, um sein Gest"ndnis ent- gegenzunehmen, und der arme Mensch glaubte sich in einem Augenblick j"h auf- schimmernder Hoffnung gerettet. ,Der wird mich verstehen', sagte er sich in seiner arglosen Einfalt. Die Entt"uschung blieb nicht aus. .Wo hast du den Schmuck versteckt?' schnauzte ihn der W"chter des Gesetzes an. Giovanni versuchte in seinem drolligen, mit den im Lande aufgeschnappten Brocken untermischten Kauderwelsch den wirklichen Hergang der Sache zu berichten. Er w¸þte von nichts, man h"tte ihm die H"nde ge- bunden und ihn unter der Anklage eines nichtbegangenen Diebstahls hierhergebracht. Aber solche Beteuerungen waren dem Herrn Amtmann nichts Neues. äAlle Diebe sagen dasselbe', entgegnete er, ävor den Richtern wird man schon sehen. Morgen werden Sie nach Gualmare gef¸hrt, wo man sie ab- urteilen wird.' Giovanni gab alles verloren... Als er allein geblieben war, sank er in der Einsamkeit seiner Zelle in die Knie und zog zwischen den Falten seines Hemdes ein bronzenes Medaillon hervor, das er unter Tr"nen k¸þte... Dann... was dann ge- schehen war, weiþ man nicht. Sicher ist nur, daþ ihn der W"rter, als er ihm bei An- bruch der Nacht Brot und Wasser in den Kerker brachte, in festen Schlaf versunken glaubte. äHe, Giovanni!' schrie er und stieþ ihn mit dem Fuþ an. Da sich der Mensch nicht r¸hrte, leuchtete er mit der Laterne hin. Und da erkannte er, daþ jener tot war. Das Schlimmste aber ist, daþ man am selben Tage, an dem Giovanni begraben wurde, den Schmuck unter einem M–belst¸ck fand... Mitunter erlaubt sich das Schicksal solche Schelmenstreiche. Sie haben schon mehr als einem Giovanni das Leben gekostet. Sie sollten nicht soviel schimpfen äDie Erwachsenen sollten nicht alles so tragisch nehmen. Sie verderben uns das ganze Leben. Sonst schimpfen sie ¸ber alles. Aber wenn man ihnen einmal richtig grob die Meinung sagen will, dann k¸mmern sie sich ¸berhaupt nicht um einen. Wenn sie etwas tun, z. B. einen L–ffel Suppe ver- sch¸tten oder fluchen, dann ist es nicht so wichtig. Wenn wir es aber tun, dann krie- gen wir einen Anschnauzer, nachher eine Tracht Pr¸gel und am Sonntag keine Rou- lade. Scheinheilig sind manche Erwachsene. Ich w¸nsche sie mir anders, als sie sind. Wenn wir sie gr¸þen, sind wir Luft f¸r sie, tun wir es aber nicht, so sind wir un- h–fliche Bengel. Wenn wir uns nicht be- nehmen k–nnen, haben wir es von ihnen, aber das wissen sie nicht.' .Die Erwachsenen sollten daran denken, daþ sie auch einmal Kinder waren. Die Erwachsenen sind manchmal schlimmer als die Kinder, und gerade dann sollten sie denken, daþ die Kinder die Welt eben ganz anders ansehen als sie. Die Erwachsenen sollten nicht alles so tragisch nehmen. Was wir Kinder als Streiche jetzt machen, haben die Erwachsenen als Kinder ebenso getrie- ben. Daran sollten sie immer denken. Die M¸tter sollten sich nicht in jeden Dreck, den die Kinder untereinander ausfechten, einmischen. Andere wieder sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten k¸mmern und nicht um die unseren. Die Erwachsenen sind oft sehr hochn"sig. Sie sollten nicht soviel schimpfen.' PAUL GAUGUIN 1848-1903 In Paris heiratet der franz–sische Bankmann Paul Gauguin die D"nin Mette Gad. Man schreibt das Jahr 1873, und die Trauung ist ohne Sen- sationen, wie tausend andere b¸rgerlich, gl¸ck- lich. Er verdient gut und wird es in Bankgesch"f- ten sicher zu etwas bringen. Ein Jahr sp"- ter beginnt Gauguin zu zeichnen, genau, akku- rat, naturalistisch - am Feierabend, so neben- her. Bald greift er auch zum Pinsel und malt nach der damaligen, noch sehr umstrittenen Art r J-l -------u--L-- . nm duftiges, leichtes Portr"t seiner Frau entsteht in typischem Zeitgeschmack. So flieþt das Leben dahin in den Bahnen des Alltags; Kinder werden geboren, im Beruf geht's aufw"rts - bis er eben diesen Beruf pl–tzlich aufgibt und sich ganz der Kunst widmet. Seine Frau und die b¸rgerliche Welt k–nnen seinen Schritt nicht verstehen, er soll doch bis zu 40000 Franken im Jahr verdient haben, hat also doch alles, was er braucht. Aber Gauguin haþt die Zivilisation: In Europa bereitet sich f¸r das kommende Geschlecht eine furchtbare Zeit vor: die Herrschaft des Goldes. Alles ist verfault, die Menschen und die Kunst ... . Fort aus diesem Europal Er verl"þt seine Frau und seine f¸nf Kin- der, f"hrt zuerst nach Martinique, dann in die VOM IMPRE S¸dsee, nach Tahiti. Ein- mal wird er die Familie nachholen. Auch hier ZUM EXPRE st–þt er auf B¸rokratie und europ"ische Zivili- sation - und nun k"mpft er f¸r das Recht der ausgebeuteten Ein- geborenen mit der gleichen Leidenschaft, mit der sich schon seine Vorfahren eingesetzt hatten f¸r die Arbeiter, f¸r soziale Ideen - in Frankreich und England. Das Leben der Primitiven ist urw¸chsig, einfach, soweit es nicht schon durch europ"ische Einfl¸sse angekr"nkelt ist. Gauguin, der Sohn des christ- lichen Abendlandes, der jedoch keiner Kirche an- geh–rt, hat f¸r dies einfache Leben Verst"ndnis und ein echtes Gef¸hl. Einfach, urw¸chsig ist auch die Landschaft, und kr"ftig sind die Farben. In Gauguins k¸nstlerischem Werk entsteht ein neuer Abschnitt. äIch begann, an allerlei Studien und Zeichnungen zu arbeiten. Aber die Landschaft blendete mich, verwirrte mich mit ihren heftigen, reinen Farben. Unsicher, wie ich noch nie gewe- sen war, stand ich da und tastete vorw"rts. Und AREAREA s s dabei war es doch so einfach, zu malen, was ich sah - ohne viel Uberlegung ein Rot, ein Blau auf die Leinwand zu setzen. - Goldene K–rper in den B"chen entz¸ckten midi durch ihre Formen. - Warum z–gerte ich, all dies Gold, diese strahlende Sonne auf meine Leinwand ein- zufangen? - Alter europ"ischer Schlendrian, typische Furcht geschw"chter Rassen vor dem Starken, Unbedingtenl' Aber bald malt er wirk- lich das brennende Rot, das Orange, das klare Blau, das saftige Gr¸n und die einfachen Formen, manchmal durch feste Umrisse noch mehr her- vorgehoben, noch intensiver, noch konzentrierter: Gem"lde, die wir heute zxpressionistisch nennen. e s I NISM U s S Vergessen ist die impres- S ION 1´ SM U 5 sionistische Welt, ¸ber- wunden die "uþerliche Manier der Pariser Jahre. t S 10ON I S MU¸ S W"hrend Gauguin aber mit seinen fr¸heren Bil- dern im Offiziellen Salon, in Frankreichs repr"sen- tativer Jahresschau, Beifall geerntet hatte, will das Publikum von seiner jetzigen Kunst nichts wissen. Verstehen diese Menschen denn nichts?' klagt der Maler. Sind meine Bilder zu einfach f¸r diese viel zu geistigen und raffinierten Pariser?... Da man meine tahitische Kunst unverst"ndlich findet, werde ich versuchen, sie zu erkl"ren: Ich habe die Vorstellung einer ¸berm"þig reichen, wilden Natur geben wollen, einer tropischen Sonne, die alles ringsum in Flammen setzt. Es ist ein Leben in freier Natur, aber dabei ist es doch intim. In den B¸schen, an schattigen Fluþufern fl¸stern die Frauen wie in einem ungeheuern Palast, den die Natur selbst mit allen Reicht¸mern Tahitis geschm¸ckt hat. So entstehen diese fabelhaften Farben, der flam- mende und doch abgekl"rte, lautlose Ton der Luft. Aber das alles existiert nicht? Doch, es existiert! Eben- so wie die liefe, die Gr–þe und das Myste- rium Tahitis, wenn man das alles auf einer Lein- wand ausdr¸cken will.' Nun, Gauguin hat das Leben in der S¸dsee ein- fangen und ausdr¸cken k–nnen mit heiþem Her- zen und - f¸r die Kunstgeschichte, in die er sich mit diesen Ge- m"lden eingeschrieben hat, in neuer Schau. -tt Selbstbildnis mit gelbem Kruzifix.
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