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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 6 (March 24, 1951)
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Schulprobleme: dazu schreibt ein Lehrer, p. 6
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Die rn"thsti, C'neration ã;rd ide,,e Ehe"nannr e..: .1iii)cgsli~i h'iben. Handarbeitsunterricht t¸r JLungen wird bereits an einigen Schulen erteilt. Auch in B.-Lichterleide haben sich inzwischen Eltern, Lehrer und Jugend mit dem Unterricht angefreundet. Foto: dp~. JUNGEN MIT NADEL UND FADEN D)ie 9. Jungenklasse einer Marburger Volks- schule hat seit Februar ein neues Fach: Handarbei tsunte rrich t. in der sechsten Handarbeitsstunde besuchte ich die Jungen. Die weiþhaarige Lehrerin zeigte mir an verschiedenen Probelappen, was bisher getan worden war: Stopfen mit grobem und mit feinem Garn, Ums"umen, Stoþband ann"hen, Knopfl–cher umsticken uind einen Knopf ann"hen. Heute sollte ein Flidken eingesetzt werden. Die Lehrerin machte den Jungen klar, was dazu getan werden m¸sse: ãIhr m¸þt den Flicken da ainn"hen, wo der Stoff fest ist, damit nicht alles gleich wieder ausreiþt - und dann .n"hen wir den Flicken nat¸rlich auf der linken Seite des besch"digten St¸ckes an." "Wenn nun aber das Loch auf der rechten Seite ist?', meinte ein verschmitztes B¸rsch- chen, das mit einer Riesennadel stirnrunzelnd ein paar blatie Str¸mpfe stopfte. Wiehern- des Gel"chter war die Antwort. Die Lehrerin teilte die Probelappen aus, und die Jungen fingen an. Der eine hielt mit ausgestrecktem linken Arm den Lappen von sich und ver- suchte zu n"hen. indeiu) er die Nadel wie einen Kochl–ffel umklammerte; ein anderer leckte bedauernd an seiner Fingerkuppe. .Warum stichst du dich denn?', fragte ihn freundlich sein Nebenmann, der mit einem hellgr¸nen Fingerhut bewaffnet war. (Er f¸hrte aber die Nadel mit den ungesch¸tzten Fingern fast ganz durch den Stoff und gab nur den letzten Stoþ mit dem Fingerhut!) Kein Junge hatte eine Schere bei sich oder gar Garn - das Handarbeitszeug der Lehrerin machte unter den sechzehn die Runde. Auf mreine Frage sagte einer: ãAn so was denkt mer doch nich!" Von den Zwirnrollen wur- den Strecken bis zu einenm Meter abgewickelt, und an einem St¸ck n"hte man zu zweit: Der eine stach in den Stoff und zog so weit durch, wie sein Arm reichte, dann ¸bernahm der zweite es, den Faden endg¸ltig heraus- zuziehen. ãDie Jungen sollen hier nicht ler- nen, ein neues St¸ck anzufertigen - sie sollen einmal in der Lage sein, sich selbst etwas auszubessern, sich einen Knopf an- zun"hen, ein Loch zu stopfen und "hnliches mehr', erkl"rte mir die Lehrerin. "Besucht ihr freiwillig die Handarbeits- stunde?' ,.Nee, das is Pflicht! Wenn's freiwillig w"r, k"m keiner, auþer mir! Ich k"m.' "Macht es dir so viel Spaþ?' ,.Nee- aber dann brauch ich keine Frau! Dann kann ich mer alles selber mnach'en!" Ein anderer: ãWenn du keine Frau willst - ich will aber eine! Sonst l"ufst du dann so .rum wie der alte Assessor, mit'nem Zwicker auf der Nase und barfuþ in kaputten Schuhen 1- k¸rzlich guckte ein Zeh raus!" ãIch bin nicht grunds"tzlich gegen die Ehe", meinte einer, der sich schon seit geraumer Zeit bem¸hte, w¸rdig auszusehen, ãaber es geht nichts ¸ber Unabh"ngigkeit!" Jedenfalls -mer ham die Handarbeit gern! Mer ham unsern Spaþ un lerne dun mer ach ¸bbes', meinte ein Dicker strahlend. Es war der mit dem blutenden Finger. Ich war ¸berrascht, wie aufmerksam die meisten Jungen der Lehrerin folgten, und sie selber meinte, die wenigen Stunden seien recht erfolgreich gewesen - die Jungen g"ben sich M¸he, und wenn sie auch nuch auþen hin betonen, Handarbeit w"re eigent- lich unter ihrer W¸rde, so seien sie doch stolz auf jede gelungene Arbeit. Erikd KlU(eh~' SCHULPROBLEME Dazu schreibt ein Lehrer: Naturlich liegt die ãJugend" dem Staat am Hlerzen. So heiþt es. H–rt man solche Worte nicht von den Regierungsb"nken?- B"nke? Ihr meint die gepolsterten Ledersessel in Bonn? - In den Regierungspal"sten und in den t"glich neu erstehenden Versicherungs- und Bankh"usern ist keine Zugluft, denn dort schlieþen die aus edelm Holz gef¸gten T¸ren gut und sind auþerdem sch–n anzu- sehen. Neulich erz"hlte man von staatlichen Parkanlagen, die Hunderttausende von Deut- schen Mark gekostet haben sollen - mit Blumen und seltenen Str"uchern und sor- genden Pflegern. Das so nebenbei. Aber viel- leicht ist ;es doch wichtig, dies zu sagen, wenn wir vom Volksschulproblem sprechen. Viel schwieriger als diese materielle, im (ärunde aber organisatorische Not ist die padagogische Seite des Schulproblems zu l–sen. Denn hier gilt es nicht, bloþ mit toten Zahlen zu rechnen und Geld zu verteilen, sondern den lebendigen Menschen zu for- men, Kinder, denen man manchmal leicht in die Seelen blicken kann, andere, die sich manchmal dem Erzieher verschlieþen, kiom- plizierte, empfindliche Organismen, die sich in steter Entwicklung befinden und den ver- schiedenen Einfl¸ssen ausgesetzt sind, Und diese jungen Menschen sollen nun ãerzogen' werden. Ist ein solch unerkl"rbares Lebe- wesen nicht eine gr–þere Kostbarkeit und bed¸rfte eines hingebungsvolleren Einsatzes als der gr¸ne Ledersessel in irgendeinem Regierungsgeb"ude? Befassen wir uns, Leh- rer und Eltern, mit unserer Jugend und be- greifen wir, daþ unsere Kinder der Mitte des 20. Jahrhunderts etwas anders sind, als wir oder gar unsere Groþeltern in jenem Alter waren! Ein schrecklicher Krieg hat un- seren Kontinent verheert, auch unz"hlige Seelen sind –de geworden. Es gilt also in erster Linie, die Herzen unserer Kinder zu gesunden oder gesund zu erhalten, Charak- tere zu formen, kleine und groþe Pers–nlich- keiten, es gilt, den Menschen zu erhalten, nicht uniforme seelenlose Roboter, Zahlen, Nummern unseres Massenzeitalters zu fabri- zieren. In dieser Erziehungsarbeit hat die Volksschule die Hauptlast zu tragen. Nat¸r- lich muþ sie Wissen ¸bermitteln, Rechnen, Lesen, Schreiben usw. usw., aber st"rker als bisher sollte sie das Herz ansprechen. Dar- um also: Reform der Volksschule und Ver- legung der Akzente. Aber nicht nur die verfallenen Geb"ude und die Schulplane mussen erneuert werden- auch der Lehrer selbst muþ ein neuer wer- den. Der ãJahrgang" des Erziehers ist dabei nicht maþgebend; es gibt alte Lehrer, die jugendlich und modern sind, und junge, die die zweifellos aufreibenden Lasten ihres Be- rufes ihrer Pension wegen auf sich nehmen, die Schule gleichsam als eine Art Versor- gungsanstalt f¸r sp"ter auffassen. Trotzdem mulþ man nat¸rlich an die junge Lehrergene- ration mit den neuen Forderungen heran- treten, die werdenden Lehrer f¸r ein' echtes Ideal gewinnen. - Der Volksschullehrer darf kein verhinderter Studienrat sein, d. h. den falschen Ehrgeiz haben, seinen Sch¸lern halbakademische Weisheiten einzupauken, mit denen sie im sp"teren Berufsleben doch nichts anfangen k–nnen, sondern er muþ - in enger Fuhlung mit dem Elternhaus und dea Berufszweigen - ein offenes Ohr f¸r unsere Zeit haben und seine Aufgaben dem k¸nftigen Wirkungskreis, der einmal zur Entlassung kommenden Sch¸ler anpassen. Um die Volksschule zu erneuern, m¸þte also eine neue Lehrergeneration herangebildet werden. W¸nschen wir also die Reform der eigentlichen Volksschule, so m¸þten wir gleichzeitig die Unterst¸tzung jener Schulen uind Akademien fordern, die f¸r die Ausbil- dung der Volksschullehrer verantwortlich sind. So gesehen, w¸rde sich der Kreis der ~unterst¸tzungs- und reformbed¸rftigen' Schultypen allerdings erweitern. Aber lieþe sich zugunsten der Schule nicht manche Aus- gabe in unserem Staatsapparat zun"chst zu- r¸cksetzen? Vergessen wir nicht, daþ die Ju- gend von heute die verantwortlichen Staats- b¸rger von morgen sind, und helfen wir ihnen, ehe es zu sp"t ist. -ii
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