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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 21 (October 8, 1949)
Bauer, Walter
Unser brüderlicher Freund, p. 11
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gegen den Luftstrom, um die Geschwindig- keit zu vermindern. - Etwas Dunkles unter ihm: eine vage Erscheinung des Bodens. Johnny legte das Flugzeug wieder gerade. Er wuþte nicht, wie hoch er noch war, und er schwebte, schwebte... Es schien ihm Minuten zu dauern, doch es waren Sekunden, jede von ihnen aber trieb ihn um 50 Meter voran. - Er f¸hlte, daþ er zu weit kam, daþ er auf jenes einzel- stehende Haus zuraste, und er starrte geradeaus in den bleiernen Dunst, aus dem ihm nun das t–dliche Hindernis entgegen- st¸rzen muþte. Dann sackte die Maschine durch, schlug hart auf die R"der und wurde zu einem gewal- tigen Luftsprung wieder hochgerissen. - Vier - f¸nf - - sechs Sekunden schwebte sie im Nichts; es war, als hinge sie unbeweg- lich in der Luft. Alle warteten gebannt auf den Aufschlag... Plump fiel die Lancaster in das feuchte Gras. Die M"nner hatten die Arme vors Gesicht gerissen, sogar Johnny, obwohl er schon ein k¸nstliches Gebiþ besaþ. Aber der ãM–belwagen' rollte, wenn auch mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilo- meter. Johnny nahm das Steuer hart an. Abwechselnd stemmte er sich links und rechts in die Bremsen. Doch schon zeichneten sich im Dunst der Zaun und die Konturen jenes gef¸rchteten Hauses ab. Blitzschnell -zog Johnny das Fahrwerk ein, der schwere Vogel rutschte auf dem Bauch, r¸ttelte alles in harten St–þen durch. Dann war Stille. Nur der elektrische Kreiselkompaþ summte noch unentwegt; irgendein Blech knackte. Johnnys linke Hand war in die Armaturen gestoþen, sie blutete. Regungslos blieb er sitzen. Mit monotoner Stimme befahl er, nach der Ladung zu sehen. Augenblicke sp"ter meldete der Funker, daþ alles in Ordnung sei. .Die ªBackr–hre´ auch?' fragte Johnny mit gerunzelter Stirn. äDie Eiserne Lunge auchl' gab der andere zur¸ck. Da riþ Johnny Conlay die Anschnallgurte los, und w"hrend seine blutigen Finger nach einer Zigarette kramten, meinte er wie bei- l"ufig: .Well, dann hat sich's gelohnt.' Zeidcnungen: Josef Kronenberg UNSER BRUDERLICHER FREUND OBER FRANS MASEREEL Uns, die vor zwanzig Jahren, von Tr"umen und Hoffnungen ¸berflieþend, junge Men- schen waren, bedeuteten seine B¸cher, die so einfache Titel trugen wie ãMein Stunden- buch', Die Idee', Das Werk', "Geschichte ohne Worte-, ãDie Stadt', Anruf, Beschw–- rung unseres entflammten Daseins. Zwanzig Jahre sind vergangen. Was darin geschah, wissen wir. Und dennoch, ãSalut au monde' - der schmetternde Anruf, den der amerikanische Welts"nger Watt Whitman einem seiner groþen Gedichte voranstellte, er kommt noch immer von den Lippen dieses jungen Men- schen im "Stundenbuch', dessen in Holz- pl"ttchen eingegrabene Abenteuer und Ver- suche wir damals als unsere eigenen emp- fanden; und ich w¸nschte nur, die jungen Menschen von heute w¸rden diese B¸cher bald in ihren H"nden und Herzen haben, denn an die wirkliche Jugend, die nach freier, nicht zu unterdr¸ckender Menschlich- keit sucht, ist Masereels Botschaft gerichtet. Seine Botschaft, das heiþt: sein Leben, sein Wesen, das weltfreudige und freundschaftliche Wesen eines Mannes, der in seinem Werk erf¸llt, was er ihm als Leitwort voranwarf: .Was geschieht, geht mich an', und: Seht, ich gebe weder Predigten noch kleine Almo- sen. Wenn ich gebe, gebe ich mich selbst.' Seine Anf"nge ruhen in der Erde seiner fl"mischen Heimat. Dort, wo er, 1889, im belgischen Blankenberghe geboren wurde, hat Masereel zuerst die Anblicke f¸r seine Bl"tter gefunden: Matrosen, Fischer, Tanz, tosende Kermes. Der Weltkrieg reiþt seine Wurzeln aus der alten Erde, und er geht dorthin, wo andere schon versuchen, der Entfesselung des Unmenschlichen die Ant- wort zu geben, die ihnen ihr Herz befiehlt. Mit f¸nfundzwanzig Jahren findet er sich in Genf, in der Freundschaft von Rolland, Jouve, Rene Arcos, die dem Kriege auf ihre Weise ihr Nein! entgegenschleudern. Jetzt beginnt er, europ"isch zu empfinden. Er f"ngt an zu verstehen, daþ der Geist eine wirkende Wirklichkeit ist und daþ man in der Gestal- tung b"uerlicher Feste und Hafenwirbel ganz einfach abseits stehen und das Falsche tun kann. Fortan wendet er sich an alle. Rolland, in jener Stunde das Gewissen Euro- pas, wirft den Kriegf¸hrenden seine Beschw–- rungen entgegen und nimmt die Achtung auf sich, die das Nein! immer dem einzelnen eintr"gt. Jouve ruft in seinen Gedichten die Menschen an, Menschen zu sein. Debris k"mpft mit seinen Bl"ttern ãLa Feuille' und .Tablettes'. Der junge Masereel, ihr br¸der- licher Genosse, braucht weniger als sie: ein kleines scharfes Messer und Pl"ttchen von Birnbaumholz. Jeden Morgen enth"lt die ,Feuille' eine seiner Zeichnungen, einen seiner Holzschnitte, in denen er der Wirk- lichkeit die Schleier und Masken abreiþt und die Treiber wie die Getriebenen bei ihrem Namen nennt. Europ"er wird man nicht in der Zelle idyllischer Beschaulichkeit, nicht, wenn man sich "ngstlich h¸tet, den Fuþ in den schlammigen Wirbel der Welt zu setzen. Man wird es, wenn man ein br¸derlicher K"mpfer gegen das Finstere, gegen die L¸ge in allen ihren Formen und f¸r das Mensch- liche, f¸r die Vers–hnung, f¸r die Freund- schaft ist. Damals hat sich Masereel der Zeit gestellt, und seine Waffe war ein kleines Messer, das sich in Holz eingrub, um in Schwarz und Weiþ die verzerrte Welt zu erschaffen. Er hat sein Messer nicht wieder beiseite getan. Seine Bilder, diese Folgen einer wahrhaften Biblla Pauperum, jedermann verst"ndlich und jeden angehend, sie sind Bekenntnis zur F¸lle des Daseins, zum freien, seiner W¸rde bewuþten Menschen; zu einer Gesinnung, die alle Nationen, alle Spra- chen umfaþt, die Freundschaft, Wohlwollen meint und nur einen wirklichen Feind kennt: die Knebelung jeder Art, das Unrecht, die Unterdr¸ckung jeder Herkunft und zu jedem Ziel. Sein Messer erschafft, von hoher K¸nst- lerschaft gef¸hrt, den m"chtigen, finster- sch–nen Wirbel der Welt. Sinn und Un- Sinn, Geheimnis und Glanz unseres Hier- seins zu bilden, und dies immer nur in dem Raum kleiner Holzpl"ttchen - welche Kraft geh–rt dazu, welche Genauigkeit der An- schauung; von der Geduld, die eben nur in der nie ermattenden Weltliebe des Bildners ihren Motor haben kann, ganz zu schweigen. Wir damals, wir haben diesen Helden Na- menlos, der durch die sch–nen, traurigen menschlichen Abenteuer des "Stundenbuches' geht, als unseren Freund willkommen gehei- þen, wir liebten an ihm sein Beteiligtsein an allem Menschlichen, an Rausch, Emp–- rung, Gebet, Liebe, dieses von Herzen kom- mende Beteiligtsein - nur an einem nicht: an der L¸ge jedweder Form. Wir haben ihn begleitet, den Einsamen, zuletzt, den Betrach- ter der Sterne, den Wanderer in ihren R"u- men, fern jeder menschlichen Verf¸hrung und Entz¸ckung. Und dem gleichen, dem Auferstandenen, be- gegneten wir wieder in der Geschichte ohne Worte', die das Zueinander und das Voneinander zweier Menschen erz"hlt mit allem Zauber und allem Verh"ngnis, und auch hier wie in den bewegenden Erz"h- lungen von der "Sonne' und der "Idee' war es immer derselbe hochgewachsene junge Mensch, der das Unm–gliche sucht und den es durch die Wirbel und durch den Mahlstrom tr"gt. Masereel hat die Gesichter der Stadt' geschaffen, er hat die Passion eines Menschen' erz"hlt, und in jedem die- ser B¸cher haben wir die junge Gestalt ohne M¸tze oder Hut gesehen und in ihr ihn sel- ber erkannt,' unseren br¸derlichen Freund Frans Masereel. Ihm wie einem Freund zu begegnen, der schon lange da ist, den sie nur noch nicht kannten, das wird f¸r die jungen Menschen von heute wunderbar sein. Sein neuer Ro- man in Bildern Jeunesse' wendet sich ganz unmittelbar an sie, die, vielleicht, imstande sein werden, die Welt wenigstens von einem Teil ihrer Blindheit, ihrer Eigensucht zu befreien. Sie werden seine Sprache ver- stehen. Es ist die Sprache des Menschen. Diese Sprache wird von keiner Grenze auf- gehalten. Walter Bauer
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