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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 22 (October 22, 1949)
Künz, Karl W.
Ein Genius seiner Zeit: Leonardo da Vinci, p. 11
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st–þt, werde ich dir wie der treueste Sklave dienen und dasselbe auch meinen S–hnen befehlen. Vergib mir!" Der K–nig freute sich sehr, daþ es ihm so leicht gelungen war. sich mit seinem Feinde auszus–hnen, und verzieh ihm nicht nur. sondern versprach auch noch, ihm sein Hab und Gut wiederzugeben und ihm auþerdem Diener und einen Arzt herzuschicken. Nachdem sich der K–nig von dem Verwun- deten verabschiedet hatte, trat er vor die H¸tte und suchte den Einsiedler. Ehe er von ihm ging, wollte er ihn noch zum letzten Male bitten, ihm doch auf die Fragen, die er ihm gestellt hatte, eine Ant- wort zu geben. Der Einsiedler war drauþen, kniete vor den Beeten, die sie gestern ge- graben hatten, und steckte Gem¸sesamen. Der K–nig trat auf ihn zu und sprach: "Weiser Mann, ich bitte dich zum letzten Male, mir auf meine Fragen eine Antwort zu geben." "Aber sie sind ja schon beantwortet', ent- gegnete der Einsiedler, kauerte sich auf seine d¸rren Waden nieder und sah den vor sich stehenden K–nig von unten her an. "Wieso denn beantwortet?" fragte der K–nig. "Hast du das nicht verstanden?" fuhr der Einsiedler fort. "Wenn du gestern nicht mit meiner Schw"che Mitleid gehabt und nicht f¸r mich die Beete umgegraben h"ttest. sondern zur¸ckgegangen w"rest, h"tte jener Mann dich ¸berfallen, und du h"ttest be- reut, nicht bei mir geblieben zu sein. Folg- lich war es die richtige Zeit, in der du die Beete umgegraben hast, und ich war f¸r dich der wertvollste Mensch, und das Wich- tigste von allem war, mir Gutes zu erweisen. Und dann, als jener herbeigelauten kam, war es gerade die rechte Zeit, daþ du dich seiner annahmst, denn wenn du ihm die Wunde nicht verbunden h"ttest, w"re er gestorben, ohne sich mit dir ausges–hnt zu haben. Folglich war es f¸r dich der wich- tigste Mensch und das. was du ihm tatest, das wichtigste Werk. Vergiþ also niemals: es gibt nur eine wichtige Zeit f¸r uns, und das ist der Augenblick, und der ;sl deshalb f¸r uns so auþerordentlich wichtig, weil wir nur in ihm die Herren ¸ber uns sind. Der wertvollste Mensch aber ist f¸r uns immer der, dem wir im Augenblick be- gegnen, denn niemand kann vorher wissen, ob er noch je mit einem anderen Menschen zu tun haben wird. Das Allerwichtigste von allem aber ist, anderen Gutes zu tun, denn nur dazu ward dem Menschen das Leben geschenkt." 3 Holzsdcnitte von Willi Dirx EIN GENIUS SEINER ZEIT 2eolardo da tiHci Es gibt eine lange Reihe von Namen, deren Klang uns ehrf¸rchtig die ¸berragende Gr–þe l"ngst vergangener und doch noch so leben- diger Gestalten f¸hlen l"þt. Staunend blicken wir zu den gewaltigen Werken ihrer Kunst empor und sind ergriffen von dem Genius, der sich hinter ihrem Schaffen verbirgt. Unter ihnen verk–rpert uns eine markante Pers–nlichkeit besonders das Ideal jener Zeit, der Renaissance, wo der Mensch wieder zum Mittelpunkt der Welt wurde, die er durch eine umfassende Bildung auf allen Wissensgebieten ergr¸nden und erforschen wollte: das Universalgenie Leonardo da Vinci. Ob er als Maler, Bildhauer, Anatom, Ingenieur, Festungsbaumeister, Naturforscher oder Astronom sein K–nnen zeigte, ¸berall leistete er Hervorragendes. Er eilte seiner Zeit so weit voraus, daþ viele seiner genialen wissenschaftlichen Pl"ne wegen der noch unentwickelten Technik erst viele Jahr- zehnte, oft erst Jahrhunderte sp"ter ver- wirklicht werden konnten. Als Sohn eines 16j"hrigen Bauernm"dchens und des angesehenen jungen Richters Piro da Vinci wurde er im Jahre 1452 geboren. Da sein Vater bald die Ehe aufl–ste und den Knaben, wie es damals Sitte war, von der Mutter kaufte, um eine standesgem"þe Ehe einzugehen, lernte der sp"tere Meister nie seine Mutter kennen. Schon als Kind zeichnete er sich durch Schlagfertigkeit und ein groþes Selbstbewuþtsein aus. Als er begann, diese bunten, bewegten Ein- dr¸cke wiederzugeben und sich als Maler versuchte, schickte ihn sein Vater nach Flo- renz zu einem Meister in die Lehre, von dem man sagte, er sei sowohl Maler als Bildhauer und Architekt wie Musiker. Das war gerade das Richtige f¸r den wissens- durstigen J¸ngling. Hier wurde er im Kreise anderer junger K¸nstler in die Kunst und <l:e eng damit verbundene Wissenschaft ein- gef¸hrt. Da es f¸r ihn keinen groþen Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft gab, wollte er sich auf allen Gebieten auskennen, um durch einen allumfassenden Blick seine Kunst zu f–rdern. So besch"ftigte er sieh ausgiebig mit der Anatomie, um die Pro- portionen des K–rpers harmonisch und naturgetreu wiedergeben zu k–nnen. Bei diesen Untersuchungen, die heimlich ge- schehen muþten, da das Zerlegen von Leichen verboten war, machte er manche neue Ent- deckung. Als erster stellte er zum Be:spiel t' e Pumpt"tigkeit des Herzens und die Ver- n"rtung der Arterien im Alter fest. Sein ganzes Streben ging da' in, ein m–g- lichst abgerundetes und vollst"ndiges Bild vom mannigtaltigen Leben zu bekommen. Seine vielen erhaltenen Skizzenb¸cher legen Zeugnis davon db, wie intensiv er das wahre Leben studierte. bevor er es in seinen Mei- sterwerken darstellte. Hier sammelte er die verschiedensten Eindr¸cke' sterbende Sol- daten, in stiller Andacht betende Frauen, alte, vergr"mte Bettler, groteske Figuren und anniitig spielende Kinder. Sie alle zeichnete er mit Hingabe und Liebe. Aus diesen vielen Einzelbildern formte er dann sp"ter seine glrolen Bildwerke, die seine tiefe Erkenntnis des Menschlichen offen- baren. Mit 30 Jahren wurde der junge K¸nstler und Erfinder, dessen Ruf sich zu verbreiten begann, an den Hof der Sforza nach Mai- land gerufen, um seine Erfindungen auf dem Gebiet der Kriegskunst nutzbar zu machen. Auþerdem muþte er am Hof die ver- schiedensten Arbeiter. verrichten. So baute er Abw"sserungs.nlagen, errichtete Ge- b"ude, legte Wasserleitungen an und muþte 1., Leonardo da Vinci R–telzeichnung 11510) nebenher auch noch Portr"te malen. Nach k¸hnen Ideen entwarf er eine Flugmaschine, in der sich ein Mensch nach Art der V–gel durch Auf- und Abbewegen zweier Fl¸gel in die Luft erheben sollte. Selbst an Entw¸rfen f¸r Unterseeboote ver- suchte er sich. Durch seine astronomischen Kenntnisse vermochte er schon 100 Jahre vor Galilei zu erkennen, daþ die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist. Sein bedeutendstes Werk aber, das ihn zu einem der ber¸hmtesten Maler machte, ist das Abendmahl. Es ist auf die Wand des Speisesaales eines Klosters gemalt. Leider aber erwies sich der Untergrund als zu feucht und ungeeignet, so daþ schon nach wenigen Jahren das Gem"lde begann abzu- bl"ttern und zu verblassen. Jedoch ist durch die letzte sorgf"ltige Uberarbeitung gelun- gen, an Hand von Vergleichen mit alten Skizzen und Entw¸rfen das urspr¸ngliche Gem"lde wieder herauszuarbeiten. Auch alle seine ¸brigen Werke werden sorgsam beh¸tet; denn wir haben nur wenige Bilder von ihm, w"hrend seine Stu- dien und Skizzen in die Tausende gehen. Daran erkennt man, wie genau er seine Gem"lde vorbereitete und auch, wie lange er an ihnen arbeitete. Dabei war sein Leben unruhig und rastlos. Durch politische Wirren vertrieben, irrte er lange von Ort zu Ort, bis er endlich wieder nach Mailand zur¸ckkehrte. Dort malte er dann sein letztes groþes Mei- sterwerk, in das er all seine Sch–pferkraft noch einmal vereinigt zu haben scheint: die Mon3 Lisa Sechs lange Jahre arbeitete er an diesem Bildnis, und als es endlich fertig war, da mochte er sich nicht mehr von ihm trennen. Obwohl es ein bestelltes Portr"t war, verkaufte er es nicht, sondern nahm es mit nach Frankreich, wohin ihn Franz I. gerufen hatte. Als bald darauf seine feinen K¸nstlerh"nde von einer L"hmung befallen wurden, muþte er seiner geliebten Kunst schweren Her- zens entsagen. Dennoch aber ersann sein genialer Geist immer noch unerm¸dlich neue Pl"ne und Entw¸rfe f¸r technische und wis- senschaftlid'e Werke, bis der groþe Meister 1519, noch nicht 7oj"hrig, einsam und still die Augen f¸r immer schloþ. Karl W. Kunz 11 As .
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