Page View
Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 11 (May 21, 1949)
Silone, Ignazio
Der Fuchs, p. 11
Page 11
WORTE DES KONFUZIUS Gl¸ck in der Beschr"nkung. Der Meister sprach: Lernen und fortw"hrend ¸ben: Ist das denn nicht auch befriedigend? Freunde haben, die aus fernen Gegenden kommen: Ist das nicht auch fr–hlich? Wenn die Men- schen einen nicht erkennen, doch nicht mur- ren: Ist das nicht auch edel? Der Schein tr¸gt. Der Meister sprach: Glatte Worte und einschmeichelnde Mienen sind selten vereint mit Sittlichkeit. Religion und Kunst ohne Sittlichkeit. Der Meister sprach: äEin Mensch ohne Men- schenliebe, was hilft dem die Form? Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Musik?' Gute Nachbarschaft. Der Meister sprach: .Gute Menschen machen die Sch–nheit eines Platzes aus_ Wer die Wahl hat und nicht unter guten Menschen wohnen bleibt, wie kann der wirklich weise genannt werden?' Vorurteil. Der Meister sprach: ãDer Edle hat f¸r nichts auf der Welt eine unbedingte Voreingenommenheit oder eine unbedingte Abneigung. Das Rechte allein ist es, auf dessen Seite er steht.' Weþ das Herz voll ist. Der Meister sprach: .Der Edle ist bewandert in der Pflicht, der Gemeine ist bewandert im Gewinn.' Beispiele. Der Meister' sprach: Wenn du einen W¸rdigen siehst, so denke darauf, ihm gleich zu werden, Wenn du einen Un- w¸rdigen siehst, so pr¸fe dich selbst in deinem Innern.' Vom Schweigen. Der Meister sprach: ãDie Alten sparten ihre Worte, denn sie sch"m- ten sich, mit ihrem Betragen hinter ihren Worten zur¸ckzubleiben.' Aufrichtigkeit als Lebensprinzip. Der Mei- ster sprach: ãDer Mensch lebt durch Gerad- heit. Ohne sie lebt er von gl¸cklichen Zu- f"llen und Ausweichen.' Gegen Kamarillawirtschalt. Der Meister sprach: ãWer nicht das Amt dazu hat, der k¸mmere sich nicht um die Regierung.' Einfluþ auf andere. Der Meister sprach: ãDer Edle bef–rdert das Sch–ne der Men- schen und bef–rdert nicht das Unsch–ne der Menschen. Der Gemeine macht es umge- kehrt.' klage der garde General! Wir sind des Kaisers Leiter und Sprossen! Wir sind wie Wasser im Fluþ verflossen ... Nutzlos hast du unser rotes Blut ver- [gossen ... General! General! Wir sind des Kaisers Adler und Eulen! Unsre Kinder hungern ... Unsre Weiber [heulen ... Unsre Knochen in fremder Erde f"ulen... General! General! Deine Augen spr¸hen Furcht und Hohn! Unsre M¸tter im Fron haben kargen [Lohn ... General! Welche Mutter hat noch einen Sohn? Sdhi-ki'ig IG NAZIO S I LO N E cD er Jj ud/cs 4. Fortsetzung --- Was gibt es Neues in den Zeitungen? - fragte der angebliche Ingenieur seinen Gast- geber. -- Ich habe seit mehreren Wochen keine Zeitung mehr gesehen... - Jeden Tag eine Trag–die - antwortete Daniele. -- Gestern ist in Frankreich ein groþes Eisenbahnungl¸ck passiert, mit Hun- derten von Toten! ... - Jeden Tag eine Trag–die - wiederholte der Ingenieur. - Aber wieviel tragischer noch ist die Art, wie die Menschen ihrem Verh"ngnis entgegengehen ... Wir brauchen nur an die Hunderte von Menschen zu den- ken, die gestern beim Eisenbahnungl¸ck zu- grunde gingen. Da waren Studenten, Bauern, Handlungsreisende im gleichen Zug mit Offi- zieren, Ÿrzten, Hutmacherinnen, Notaren. Sie waren im gleichen Zug und waren es doch nicht. Der Bauer dachte an die Markt- preise, der Notar an das Kreuz der Ehren- legion, der Offizier tr"umte von einer reichen Braut, der Arzt stritt in Gedanken mit dem B¸rgermeister seines Dorfes, der Student schielte auf seine neue Krawatte. So reiste jeder in seinem Extrazug. In der mensch- lichen Gesellschaft hatte jeder seinen eigenen Zug. Und dann mit einem Schlag sind sie doch alle im gleichen Zug des Todes gefah- ren. Die Krawatte des Studenten ist unter den Stiefeln des Bauers gelandet, der S"bel des Offiziers hat dem Handlungsreisenden den Leib durchbohrt, die neuen Modelle der Putzmacherin sind in Flammen aufgegangen. Alle waren im gleichen Zug und haben es nicht gewuþt... - Aber die Eisenbahnverwaltung ist sofort herbeigeeilt - fuhr Daniele fort-, um die durch den Tod geschaffene Einheit zu spren- gen. Die Eisenbahnverwaltung hat die Lei- chen in Pelzm"nteln auf die eine Seite legen lassen und die in einfachen Kitteln auf die andere! ... --- Dann sind wohl die Menschen dazu ver- dammt, auch jenseits des Todes noch Gegner zu sein? - forschte Silvia. - - Es ist ein Abgrund zwischen der Natur des Menschen, seinem Schicksal und dem, was die Gesellschaft aus ihm macht -- ant- wortete der Genesende. W"hrend der Tage, in denen ich mit dem Tode rang, hat mich diese Idee nicht mehr losgelassen... Jeder von uns f"hrt in seinem Extrazug, und alle sind wir dennoch in der gleichen Eisen- bahn ... - Die heutige Gesellschaft beruht g"nzlich auf Trennung und Gegnerschaft der Men- schen -- mischte sich Daniele ein. - Die groþe Mehrzahl der Menschen ist von dem Ergebnis ihrer Arbeit getrennt und im Gegensatz zu ihr. Kaum haben die Produkte ihre H"nde verlassen, so geh–ren sie denen nicht mehr, die sie hervorgebracht haben, sie werden sogar deren Feinde. Die Produkte sind die Gegner der Produzenten. Das leb- lose Ding ist zum Fetisch geworden, vor dem sich der Mensch zu beugen hat... - Muþ denn das immer so bleiben? - fragte Silvia. * In meiner Jugend - antwortete der Ge- nesende --- habe ich auch auf eine andere Gesellschaft gehofft als die, in der wir leben.. . Daniele stand auf und begann wieder seinen Garten umzugraben. Der Fr¸hling war nahe, und die Arbeit dr"ngte. Wuchtig fuhr er mit der Schaufel ins Erdreich, indem er mit dem ganzen Gewicht seines K–rpers den rechten Fuþ darauf stieþ, und warf dann die Erdschollen beiseite. Hinter ihm gl"ttete Mutter Filomena die Klumpen mit einem Rechen. Ein s¸þlicher Geruch von feuchter Erde lagerte ¸ber dem Garten. Auf dem ge- qu"lten und aufgeregten Gesicht des Da- niele perlten groþe Schweiþtropfen. Der Ge- nesende blieb im Garten auf dem Liege- stuhl, bis der Abend kam, bis die ersten Sterne ¸ber dem MonteCeneri aufleuchteten. -- Es ist solange her, viele, viele Jahre, daþ ich nicht mehr in den Himmel gesehen habe! - sagte er mit leiser Stimme zu der Familie. die ihn umringte. Silvia erhob sidc und kam gleich darauf mit einem Buche zur¸ck. -- Hier -- sagte das M"dchen - im ersten Band von Tolstois Krieg und Frieden ist ein "hnlicher Fall. Der Prinz Andrei st¸rzt im November 1805 in der N"he von Pratzen w"hrend einer Schlacht zwischen Russen und Franzosen. Er bricht verwundet zusammen, und Tolstoi erz"hlt dar¸ber: ãDann –ffnete er wieder die Augen in der Hoffnung zu sehen, welchen Ausgang der Kampf der bei- den Franzosen mit dem Artilleristen genom- men habe, ob der rothaarige Artillerist ge- t–tet sei oder nicht; auch h"tte er gern ge- wuþt, ob die Kanonen genommen oder ge- rettet waren. Aber er sah nichts mehr als ¸ber sidc den Himmel, den hohen Himmel, der jetzt nicht klar, aber doch unermeþlich hoch war, mit ruhig ¸ber ihn hingleitenden grauen Wolken. Wie still und ruhig und feierlich das ist, dachte F¸rst Andrei. Das hat so gar keine Ÿhnlichkeit mit unserem Laufen, Schreien und K"mpfen. Das stille Dahingleiten der Wolken an diesem hohen unendlichen Himmel hat so gar nichts ge- mein mit dem Ringen des Franzosen und des Artilleristen, die mit erregten, grimmi- gen Gesichtern einander den St¸ckwischer zu entreiþen suchten. Wie ist es nur zu- gegangen, daþ ich diesen hohen Himmel fr¸her nie gesehen habe? Und wie gl¸cklich bin ich, daþ ich ihn endlich kennengelernt habe. Ja, alles ist nichtig, alles ist Irrtum und Lug, auþer diesem unendlichen Him- mel. Es gibt nichts, nichts als Stille und Ruhe. Und daf¸r sei Gott Dank! ... Der Mond war aufgegangen und ¸berflutete die Ebene von Magadino mit m"rchenhaf- tem Glanz. - Der Mond - sagte Luisa - hat Augen und eine Nase wie wir... -- Das sind Berge und Meere - belehrte Silvia die j¸ngere Schwester. -- Wenn die Mondbewohner in diesem Au- genblick auf die Erde herunterblicken, er- scheint sie ihnen wahrscheinlich nicht wesent- lich anders - f¸gte der Ingenieur hinzu. - Was sind, von dort oben gesehen, die gr–þ- ten St"dte der Erde?...: Von da oben muþ Italien wie ein Komma sein und die Schweiz wie ein kleiner Punkt!... Fortsetzung folgt
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright