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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 1 (January 1, 1949)
Fischer, A. W.
Die Lochpistole, p. 10
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flhjflfl I U~i. 5i iDU Wenn man die Lehre beginnt, ist es ein un- geschriebenes Gesetz, daþ man erst einmal hochgenommen wird. In den ersten Tagen muþte auch ich f¸r 5 Pfennig weiþes Spezial- Zangenfett, die Zehn-Uhr-Schablone und das linke Augenmaþ besorgen. Das war zwar nicht sch–n, aber ich war hinterher doch um einiges schlauer geworden. Von jetzt an war ich auf der Hut, und es sollte mich keiner mehr hineinlegen k–nnen. In der zweiten Woche wurde ich einem jungen Gesellen unterstellt. Er hatte in eine Blecht¸r L–cher f¸r Verzierungsleisten zu bohren. Eine Anzahl dieser L–cher saþ in der Mitte der Blechtafel, und der Geselle schob die groþe T¸r unter der Bohrmaschine hin und her, her und hin. Doch der Bohrer kam nicht an die vorgezeichneten L–cher heran. "Tja, da hilft alles nichts", sagte er nach einigem Nachdenken, "wenn es so nicht geht, m¸ssen wir die L–cher eben 'reinschieþen." Ich sah ihn zuerst miþtrauisch an, aber er blieb sachlich und erkl"rte: "Das geht am schnellsten und auþerdem werden die L–cher auch sauberer." Das leuchtete mir ein, nur dachte ich mir: Wenn da n"al nicht ein Grat dranbleibt...1 "Nun guck nicht so lange, nimm dir eine Marke aus dem Schiank und hole die F¸nf- Millimeter-Lochpistolel Laþ dir aber nicht die alte aufh"ngen, die hat zuviel Lade- hemmung ... ." Ich zog meine Bahn nach der Werkzeugbude hin. Auch meine letzten Zweifel waren fort, denn ich dachte mir, wenn es schon zwei von diesen Biestern gab, wird es schon seine Richtigkeit haben. "Was willst du denn schon wieder?" fragte der Werkzeugausgeber barsch, als ich vor sein Schalterfenster trat. "Die F¸nf-Millimeter-Lochpistole, aber die neue... I" Er schien diesmal einen guten Tag zu haben, denn entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, jedesmal mit viel Gebr¸ll zu erkl"ren, daþ wir Rotzjungen mit unseren ewigen W¸n- schen die Firma nur ruinierten, stellte er sich gleich vor sein Markenbrett, besah es von oben bis unten, dachte etwas nach und schrie mir dann zu: "Die hat Kretschmarl" Ausgerechnet Kretschmar? Das war doch der ulkige Kerl, der mir vorige Woche die zwei schweren, vier Meter langen Anreiþlineale als linkes Augenmaþ auf die Schultern ge- laden hatte und an die er noch ein Plakat band, auf dem mit roten Buchstaben linkes Augenmaþ zu lesen stand, damit es nicht mit dem rechten Augenmaþ verwechselt werden konnte. Na, diesmal konnte mir bei Kretschmar ja nichts mehr passieren. Ziemlich selbstbewuþt sagte ich daher zu ihm: "Pannasch m–chte die neue F¸nf-Millimeter- Lochpistole haben." "Ihr k–nnt wohl wieder einmal nicht schnell genug fertig werden? - Was?" meinte er und suchte gleich in seiner Feilbank herum, suchte und suchte. "Die hat mir doch wieder einer weggeholt? Donnerwetter noch einmal! Dabei brauche ich sie Gleich wieder selbst! - He Karl!" rief er einen Kollegen an. Hast du vielleicht die Lochpistole herausgegeben?" "Ja, die hat Emil sich geholt..." Ich dachte, Kretschmar w¸rde jetzt Krach schlagen, statt dessen aber sagte er ruhig zu mir: "Geh mal raus auf den Hof, bei den Ger¸sten ist der lange Emil. Der hat die Pistole - das stimmt ja auch! Der muþ oben ein paar L–cher herausschieþen. Aber bringe sie mir nachher gleich wieder!" Emil hing oben in einer Eisenkonstruktion, die probeweise zusammengepaþt wurde. "Hallo, kann ich die Lochpistole von Kretschmar kriegen?" rief ich hinauf. Er h–rte nicht. Ich rief aus Leibeskr"ften: "Hallo, hallo!" Doch Emil h–rte immer noch nicht, obwohl ich schw–ren mochte, daþ er mich gesehen hatte. "Klettere doch einmal rauf, du fauler Knochen!" riet mir fast wohlwollend sein Stift, der auf einmal hinter mir stand, statt meine Frage nach der Pistole zu beantworten. "Oder meinst du, ein Geselle k"me zu dir hinunter?" Ich kletterte w¸tend zwei lange Leitern hin- auf und brachte dem eifrig besch"ftigten Emil mein Anliegen vor. "Ach, sieh mal einer an! Der Herr Hallo will die Lochpistole haben... Erstens mal ruft man einen alten Gesellen nicht mit Hallo an und zweitens mal, bohrt mal sch–n eure L–cher raus, wie sich das auch geh–rt. und nehmt einem alten Hochbauer nicht das Werkzeug weg!" krakeelte er mit einer merkw¸rdigen Wichtigkeit. ãPannasch kann aber die L–cher nicht bohren," verteidigte ich mein Anliegen. "Nun, dann sag ihm: 'nen sch–nen Gruþ, er soll das Bohren lernen!" Ich kletterte wieder die Leitern herunter. Unten fl¸sterte der Dreij"hrige mir ins Ohr: "Emil hat ja die Lochpistole gar nicht mehr. Die hat er an Schulze III weiterverpumpt. Kretschmar soll das nicht wissen. Geh' nur ruhig zu Schulze hin, wenn ihr sie nicht lange braucht." Ich lenkte meine Schritte quer durch die Halle nach Schulze III. ãJa Junge, da haste Pech gehabt", sagte Schulze III ver- sich breitbeinig hin. "Uns ist das Pulver ausge- gangen. Die Pi- stole ist wieder zum Laden fort. Frag mal in der Werkzeugbude." Sein sommer- sprossiger Stift, den ich schon seit den ersten i agennschtrecht leiden mochte, stand dabei und lachte schadenfroh. Das lieþ mich aber kalt, und ich sah ¸ber ihn hinweg. Auf dem R¸ckweg holte er mich aber wieder ein. "Ich soll dir sagen, daþ die Pistole nicht in der Werkzeugbude ist, sondern beim Ober- meister Vogt. Der hat auch die Patronen." Das paþte mir nun gar nicht, denn ich ging nicht gern in die Meisterbude. Aber mir blieb nun keine andere Wahl, sonst wurde die T¸r heute nicht mehr fertig. "Wer schickt dich denn zu mir?" fragte der Obermeister und sah mich forschend durch die Brille an. "Der Lehrling von Schulze 11." "So . . . Ist das der Nitsche? Hm ... Und wer braucht die Pistole?" "Der Pannasch. Wir wollen die L–cher in der T¸r 'rausschieþen." Er riþ jetzt seine Brille ab, stieþ mit dem Zeigefinger gegen mich und sagte: "Sage dem Pannasch, ich bringe ihm die Pistole selbst." Ich machte kehrt und schlug die T¸r hinter mir zu. Und ich sagte zu Pannasch, der Ober- meister Vogt bringe ihm die Pistole pers–n- lich. Er guckte mich pl–tzlich ganz starr an und fragte erstaunt: "Wie kommst du Rindsvieh denn zum Alten rein?" "Ich muþte doch hin! Der Nitsche hat mir gesagt, der Obermeister h"tte die Pistole zum Laden da!" "Der Nitsche!? 0 der Spitzbube!" Pannasch machte auf der Stelle kehrt und eilte in Richtung Schulze III ab. An der Ecke lief er dem Obermeister in den Weg, der sich vor ihm aufpflanzte und mit den Armen fuchtelte. Pannasch sagte keinen Ton dazu. Mir wurde es dabei ganz mulmig zu Mute. Als der Obermeister weiterging, lief Pan- nasch doch noch nach Schulze III hin. Nach einiger Zeit kam er zur¸ck und trug ein klobiges Eisending auf der Schulter. "Ist das die Pistole?" fragte ich vorsichtig. "Nee," sagte er ziemlich grob, "wenn du Igel aufgepaþt h"ttest, m¸þtest du so ein Ding l"ngst kennen. Das ist eine Handbohr- maschine! Mit der geht es nat¸rlich auch, nur nicht so schnell . . Aber dem Nitsche kannst du gelegentlich mal ein paar in die Fresse hauen!" Zeichnung: H. Hilge Wir bohrten stillschweigend die L–cher, das heiþt: Pannasch bohrte und ich pinselte das Seifenwasser zum K¸hlen an den Bohrer. Bei dieser Arbeit fiel mein Groschen einige Zentimeter nach unten. Nach ganz unten fiel er, als ich h–rte, daþ Nitsche nacheinander einmal von Pannasch, einmal von Schulze III und zum drittenmal vom Obermeister Ohr- feigen bekommen hatte. Leider hatte ich noch eine Zeitlang freundliche Anfragen aus Stiftekreisen nach Scharfschieþen und guten Gewehren zu beantworten. Ich hieþ ¸berdies auch eine Zeitlang noch "Der Blechj"ger".
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