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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Frank Thiess, pp. 158-159
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senir gut, ging tapfer, wenn auch langsam und das Bein nachziehend, neben mir durch das Dorf. Aber in seinem Gesicht sind tiefe Furchen. Mir braucht niemand zu sagen, woher sie kommen. Ich wei, was sie zu erdulden haben, ehe ihnen so eine gut konstruierte Prothese wachst. Nein, Lucien, so hattest du nicht wiederkommen dfrfen. Mit nachschleppen- dem Bein, glanzlosen Augen, weiBen Faden in deinem leuchtenden Haar und so bitteren Worten im Mund. ,,Ja, Katrin, mit Tanzen ist es fOr alle Zelten aus. Und mit Schlittschuh- laufen auch. Und die Frauen werden sich um mich auch nicht gerade reiBen." Ich sage ihm alles, was ich taglich meinen Patienten von der chirurgischen Station gesagt habe, ohne es selber zu glauben. DaB es im Leben wichtigere ilinge gibt als Schlittschuhlaufen und Tanzen und Fuliballspielen. ,,Du trostest mich besser als dich selbst, Katrin." Und leise und vorsichtig beginnt er von Lucien zu reden. Bis ich es nicht mehr ertrage: ,,Ich brauche keinen Trost, Gaston. Aber wenn du etwas uiber Luciens Tod weil3t - bitte, sage es mir." ,,Ich sprach vorgestern seinen Vater, Katrin. Er war nur einige Tage hier, um den Haushalt aufzulosen. - Lucien ist in Briussel im Lazarett gestorben. NierenschulB. Sein Vater hatte Erlaubnis, zu ihm nach Brilssel zu fahren. - Map hatte noch Hoffnung, hatte ihn kurz vorher nochmal operiert. - Er erkannte seinen Vater, war aber nur noch wenige Minuten bei Dewulitsein." Jetzt erfahre ich, wie er gestorben ist. Und fast jede Nacht verfolgten mich die Schreckensbildef, wie meine Phantasie mir Luciens Tod im Traum zeigte. Nierenschul3 und bewuBtlos - und dein Vater war bei dir. Lucien, mir war manchmal, als ob du dich fgr eine Unterlassungssunde an mir rdchen wolltest, und nur darum hast du mir die Ursache deines Todes geheimgehalten. Aber heute hast du mir Gaston geschickt. Und vielleicht wirst du nun Gott bitten, dai3 er mich nicht mit einem langen Leben bestraft. FRANK THIESS Mehrere BPtcher des 1890 In tUxkill in Liv- Daimonen" usw. erweist er sich als Er. land geborenen Dichters wurden 1933 ver- zahler grolen Formats. Thiess hat das brannt; einige seiner vorl 1933 erschienenen Schlagwort von der ,,inneren Emigration' Bticher wurden verboten oder gesperrt; gepragt, deren vielumstrittener Wort- spater verfiel auch ein Teil der nach 1933 fflhrer er ist. Aus seinem vor einiger Zeit erschienenen Bilcher dem Verbot. In sei- in den ,,Berliner Heften" ersehienenen nen Romanen ,Die Verdammten", ,Der Essay: ,,GEIST UND GESCHIC1ITE", Tod von Falern", ,,Abschied vom Para- einer Auseinandersetzung mit unserer Zeit, dies", ,,Der Leibhaftige", ,,Das Reich der folgen hier einige abschlieBende Sdtze: Wie schwach auch zu Zeiten sich der Geist in den grolien Orkanen der Geschichte fuhilen moge, wie schwarz der Himmel uiber uns lastet, er allein weilZ urn das Wandern der ewigen Sterne. Er bricht den ehernen Ring der Naturgesetzlichkeit auf, der alles Volkerleben in seinen Bann zwingen will. Er ist der Blitz, der aus dem Gewblk fallt und auf Sekunden ringsum die Welt erleuchtet. Diese Sekunden aber konnen geschichtlich Ungeheures be- deuten. Aus der tiefen Verlassenheit und Einsarnkeit des allein mit Gott ver- bundenen Ichs trat ein Christus unter die Menschen. Eine Weltensekunde lag das weil3e Licht der Geschichte auf ihm, dann versank seine Gestalt in ewige
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