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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Ernst Penzoldt, p. 133
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ERNST PENZOLDT 1892 in Erlangen geboren, Maler, r(Sild- boten. TIm Kriege veroffentlichte er sein hauer.und Dichter von vielfaltigen Gaben. kriegsfeindliches Buch ,,Korporal Mom- Er hat sich als Epiker, Dramatiker, bour". Eins der schinsten Bttcher Pen- Lyriker und Essayist einen groPlen Kreis zoldts ist ,DER ARME CHATTERTON", von Freunden erwvorben. eWdhrend der die romanhaft gestaltete Geschichte des 12 Jahre zihhlte er zu den ,,Unerwilhsch- unglitcklichen 'englischen Dichters; sie ist ten"; einzelne seiner Werke wurden ver- seinerzeit bei S. Fischer erschienen: Frau Susanne liebte Tom arngstlich, olhne zu ahnen, was ihn elgentlich so von Marys reizender. Phantasie unterschied, wenn sie auch verwundert ein- sah, in welch seltsamem, geradezu ehrftirchtigem Verhaltnis der Knabe zu allen Gegenstanden und Werken von Menschenhand zu stehen schien, so auch zu ihren Kleidern, bei deren muhsamer Entstehung er oft stundenlang zusah bis zu ihrer festlichen Vollendung. Das Antlitz des Teekessels, die Person der Standuhr fesselten ihn. Wenn Marys Bett ein Schiff sein konnte, so liebte und furchtete er das seine, weil es eben kein Schiff, sondern ein Bett war. Tom war ein Ding, bruderlich unter seinesgleichen. Frau Susanne diente zu ihrem Beruf eine Anprobepuppe, aus Rohr geflochten, lebensgrol3. Der Kopf war steif aus Holz geschnitzt mit glasernen Augen und echten Wimpern. Das Gesicht war regungslos, weiB und (nach der Mode) wie ge- pudert, desgleichen das wirkliche Haar. Tom kroch zuweilen darunter wie unter ein Zelt und safi dann lange still in Dammerung und Duft eines neuen, schonen Kleides. Er konnte darin aufrecht stehen, und zuweilen wandelte er darin langsam in der Stube auf und ab, seltsam anzuschauen. Tom hatte die Puppe lieb und nannte sie Ellinor. Er unterschied auch deutlich zwischen Splelzeug und verantWortlichen, schon erwachsenen Gegenstanden, doch uber alles ging ihm der Dom, der an sonnigen Tagen die Stube mit seinem roten Schein erfuillte, dessen Schatten so friuh darin Abend werden lieB. Als Tom ffinf Jahre alt war, verlor er sich denn auch einmal darin, das Mittagessen vergessend, und seine Mutter fand ihn endlich, wie. schlafend mit geschlossenen Augen regungslos flach an der Wand, ein lebendes Epitaph, in der roten Dammerung des frommen Raumes stehen, die Hande, wie ein Buch geschlossen, steil vor der kaum atmenden Brust. Er erwachte durch Anruf aus der Erstarrung und brach in Tranen aus. GERIWART POUL, War vor 1933 der Herausgeber der Zeit- tung einsetzte. Wiihrend der Hitlerzeii schrift ,Die neue Btlcherschau", die gegen gehorte er zum Kreise urn Ge hart Hlaupt- alse rUckschrittlichen Krdfte in der Lite- man'. Aus einem seinerzeit erschienenen ratur und der Kulturpolitik, gegen Spie- Aufsatz des 1902 in ltrachenberg in Schie- 3ertum und Ungeist kampfte und sich sien geborenen Publizisten, der als be- fUr die echten Vertreter einer neuen Dich- deutender Erzahiler hervorgetreten ist: Da ich diese Zellen schreibe, sind alle Mdglichkeiten unbenutzt entglitteh und die alten Kerkergitter wieder eingepflanzt, ohne daB die Freiheits-, Bruder- und Revolutions-Schreie der ,,Menschheitsdammerer" irgendwo tiefen Widerhall gefunden. Das liegt an der augeL:Xeklichen Stumpfheit des deut- schen Volkes und gleihermaflen - an der NUnfthigkeit .zum Kollektiv- 133
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