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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Julius Meier-Graefe, pp. 115-116
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Georgs Stelle vor Gericht erscheinen und sich als Georg Biichner ausgeben, urn zu erfahren, was los sei und ob man die Absicht habe, den Vorgeladenen in Haft zu nehmen. Allein der Versuch millingt. Der Richter kennt Georg BEichner sehr genau, er kennt die ganze Familie des bekannten Medizinal- rates. Wilhelm kann nur irgendwelche Ausreden stottern, und der Richter erklart, er werde Georg noch zwei Tage Zeit lassen, dann aber muisse er un- widerruflich im Arresthaus zur Vernehmung erscheinen. Das ist nun ein deutlicher Wink; jetzt ist die Entscheidung nicht einmal mehr um Stunden aufzuschieben. Georg entdeckt sich in seiner Not der Mutter, erhalt einiges Geld, urn reisen zu k6nnen. Der Vater ahnt nichts und darf nichts ahnen. Ein letzter Versuch des Bruders, ihn zurtickzuhalten, scheitert, da der Verfolgte allen Vorstellungen gegeniiber erklart, es sei sein Tod, wenn er in Gefangenschaft geriete: Am 1. Marz in der Morgenfrilhe fuhrt ein Wagen Georg Bulchner aus dern Stadttor zu Darmstadt. Die Fahrt geht In Richtung der franzbsischen Grenze, Fahrtziel ist StraBburg. Einen PaB hat der Reisende nicht, aber einige Paplere, und er kann hoff en, daB die franz6sischen Beh6rden fur den politi- schen Fliichtling Verstdndnis und freundliche Aufnahme haben werden. Die Flucht gelingt; am 9. Marz 1835 ist er wieder im Lande des Buirgerkbnigs Louis Philippe, an der Grenze in WeiBenburg, im Begriffe, nach StraBburg weiterzufahren, wo ihn Braut und Freunde erwarten. Jetzt schreibt er den Eltern, und dieser Brief gab nun endlich auch dem Vater die Erklarung seines Verhaltehs in den ganzen letzten Monaten; er zleht die Bilanz des Privat- lebens, wie der ,,Danton" die Zusammenfassung des politischen Erlebnisses geweser war. Leben und Freiheit sind gerettet: jetzt muB ein junger Mensch, der auf nichts rechnen darf als sein Talent, seine geistige Kraft, die Starke seines Willens und Charakters, sich selbst weiterhelfen. So wird der Brief Milanz und Programm zugleich. ,,Nur die dringendsten Grunde konnten mich zwlngen, Vaterland und Vater- haus in der Art zu verlassen. Ich konite mich unserer politischeh Inquisition eellen; von dem Resultat elner Untersuchung hatte Ich nichts zu befUrchten, aber alles von der Untersuchung selbst... Ich bin uibe zeugt, daB nach einem VeTlaufe von zwei bis drei Jahren meiner Riickkehr nichts mehr im Wege stehen wird. Diese Zeit hatte ich Im Falle des Bleibens in elnem Kerker in Friedberg gesessen; k6rperlich und geistig zerrtittet ware ich dann entlassen worden. Dies stand mir so deutlich vor Augen, dessen war ich so gewiB, daB3 ich das grofle tibel einer fre1willigen Verbannung wahlte. Jetzt habe ich Hande und Kopf frel ... Seit ich uber die Grenze bin, habe Ich frischen Lebensmut." JULIUS MEIER.GRAEFE 1867 geboren, hervorragender Runsthisto- graphie). Er starb vor etwa elnemn 'Tahr- riker und van-Gogh-Kenner, verfafite zehnt in Frankreich. Aus einem vor 1933 zahireiche Bticher (u. a. ,Spanische Reise" geschriebenien ESSAY Uber die Bildhaue- und ,,Vincent", die beste van-Gogh-Bio- rin Renee Sintenis hier eine kurze Probe: Erschreckend, zu denken, das, was man sich im allgemeinen unter Plastik vorstellt: klotzige Fauste, mannhafte Waden, wulstige Pferdebauche und der durchbohrende Heroenblick, sei das Gewerbe elner Frau geworden. Diese
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