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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Hans Arno Joachim, pp. 79-80
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die Szenen der Einzelmenschen sabotlert, urm nur die Masse, nur den Rauber- chor zu verherrlichen, so arbeitet er gegen den Willen eines Dichters aus der BlEitezeit des Individualismus. Denn aus dern Weimarischdn lalt sich Schillers Werk in alle Sprachen Uibersetzen. Nur nicht ins Neu-Mosko- witische. Was dem Regisseui recht ist, muB dem Dramaturgen billig sein. Auch wenn er zufallig Gerhart Hauptmann heift. Seine ,,Hamlet"-Bearbeitung setzt in der Aufruhrszene fur Laertes den Prinzen ein, auf Grund einer an- fechtbaren Textdeutung. Das mag angehen, das bleibt innerhalb der Grenze. Wenn aber pl6tzlich neue Personen auftadcheh, Wetin sich ein Schauspieler mit weillem Wuschelbart als Konig Norweg vorstellt, wenn endlich For- tlnbras, von Shakespeare beWulAt fUrs Schiullwort aufgespart, gemUtlich mit Hamlet plaudert, dann ist die Grenze Uberschritten, die nicht von der Tra- dition, sondern vom guten Geschmack gezogen wird. Denn, ihr lieben Theaterleute, ihr mogt den Tonfall des Dichterworts ge- trost unserer Zeitenmode anpassen. Aber seinen Sinn solIt ihr achten (und seinen Text beim Ktirzen nicht verstUmmeln), gerade weil ihr nicht dem toten Herkommen, sondern unserer lebendigen Zeit dienen wollt, muli3t ihr das Grundgesetz dieser unserer Zeit achten: Respekt vor dem Wesentlichen! HANS AnNO JOACHIM Hans Arno Joachim, 1902 in Freiburg reich nlnd der Schweiz in Puchform die (Breisgau) geboren, war einer der scharf- Horspiele ,Nietzsche contra Wagner" und sinnigsten Literaturkritiker der zwanzi- ,,Die Stimme Victor Hugos" und nahm ger Jahte. Seine Essays wie ,,Emil Gott tIltigen Anteil an den literarischen Dis- oder Glanz und Elend des Individualis- kussionen des Schutzvelbarides Deutscher mus' und seine literaturkritischen Auf- Schriftsteller im Exil. Im Jahre 1943 sitze In der ,Neuen Rundschau", der ,,Lite- wurde er von der Gestapo in Sildfrankretch rarischen Welt" und der .,Frankfurter gefangengenommen und ist seither ver- Zeitung' dUrfen als Markhteine der Lite- schollen. - Hier ein Abschnitt aus einervor raturkritik der Jahre vor 1933 gelten. Er 1933 geschriebenen Betrachtung Joachims ging 1933 ins Exil, veroffentlichte in Frank- fiber den HISTORISCHEN ROMAN: Nur bet Grolleltern noch steht die Konfektion der Historie im Umbau der vergangenen Epoche, der JUrg Jenatsch nicht, Salambo nicht, aber Dahn, Ebers, Freytag In Serien. Die haben den Stil derjenigen Zeit komplett ge- macht, welche die Ritterburgen restaurierte und es sich nicht nehmen lieB, auf eine rfstungsfreudige Weise unter den Requisiten der Historie zu hausen. Ste hielt mit dem Staubtuch in der Hand zu den Harnischen und Partisanen, die so wenig dem entsprechen, was ihre RUstungsindustrie gleicherzeit her- stellte; sie hat mit den Schwertern gesplelt, bis es mit dem Giftgas Ernst geworde4 ist. Die historischen Romane, die sie bevorzugt hat, sihd danach; sle sind eine Vorkriegserscheinung. Man hat aus ihnen manches fur die Schule, aber wenig fUr das Leben gelernt . . . ... Es geht nicht weiter, bis die Bficher von Feuchtwanger aufkommen, die von Neumann, von der Trautwein: BUcher vor allem, die sehr wenig guter Meinung fiber den Menschen sind. Sie kommen mehr wie gewUnscht, man hat sie notig. Es zeichnet sie aus, wie sehr sie gefragt sind. Sie haben Substanz, sie fordern nicht, sie gestalten. Ste wenden das an, was sie aus der Weltgeschichte erfahren haben, die man mitgemacht hat: die Ent- tUuschtheit. Ste haben den humanen, den gewagten Mut, der seit Stendhak 79
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