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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Monty Jacobs, pp. 78-79
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HEINICH EDUARD JACOB 1889 in Berlin geboren, schrieb den Ro- rnan ,,Der Zwanzigjkhrige' Und die Idyl- len ,,Das Geschenk der schdnen Erde". Weitere Romane und Novellen, in schnel- ler Folge veroffentlicht, zeigten ihn als hieister psychologischer Einftihlung. 1933 gehtort er zu den mit dem Bannfluch Be- legten; er schrieb ,,Sage und Siegeszug des Kaffees' und im Exil, In den USA, U. a. das Buch: ,,Der grolie Nebel tiber Belgien". Er bekennt, es sei ,,das Wich- tigste, was er seit Jahren geschrieben habe." Da es uns nicht zuganglich ist. zitieren wir einige eindringliche Satze aus einem REISEBUCH, das H. E. Jacob zur Zeit des erstenWeltkrieges geschrieben hat: MuB dies ein Traum sein, was Ich hier schilderte? Es muB nicht . . Ich habe ein Gran davon selber 1913 erlebt. Zu Breslau war's, in der groBen Volksschau, welche ,,Jahrhundertausstellung" genannt war. Nachdem man ein dummes und blechernes Festspiel, das die napoleonischen Kriege dar- stellen sollte, zu Ohren gebracht, ward auf den Siufen der weiten Arena von einem groien Theatermeister ein TempeIzug aller Spleler geballt. Und wie. nun die Soldaten ent§chwanden. und hinter dem Kriege der Frieden aufstieg, zahllose buntgeschmuckte,,Gewebe, Btirger im Festkleid, und uferlos Schwellen tonenden Friedens ein ZuF, dessen Rander die Wande des Baus zu zerschneiden drohten . . . wie zwanz-g Fischer in Wettermanteln stolz und frohlich das Rund betrachten und in ihren geschulterten Netzen hangend die Frucht ihrer Friedensarbeit trugen, grofl3e, silberschuppige Fische aus meer- blitzendem Edelmetall - da fffilt ein jeder: schon ist der Friede. Er ist so ach6n wie auf der Welt nichts auger ihm sein kann ... . . . Eine Menschheitsminute lang trug der Friede dem Prunkhelm der Tat: als Beethoven Schillers Chore vertonte. Ha, wenn aus den Wogen der Neunten sich einsam jener Tenor erhebt, auf stahlerne Rhythmen Worte giefend: ,,Froh, froh wie seine Sonnen fliegen durch des Himmels prach- tigen Plan, wandelt, Bruder, eure Bahn" - wer will behaupten, daB dies zu Soldaten gesagt sei? Die noch immer nicht glauben konnen, dal3 aus dem Quell der Mensch- heitsliebe derselbe stolze und adlige Rausch stromen konne wie aus der iUebe zurn Vaterland, sie ftihrt zu dem Mvarsch in ljeethovens Neunter MONTY JACOBS In der Mitfe der slebzlger Jahre als Sohn eines Englanders in Slettin geboren; stu- dierte Germanistik in Munchen, Heidel- berg und Berlin, wurde Schtiller Erich Schmidts und kam mit 22 Jahren zu Ull- stein. Anfange bei der ,,Berliner Zeitung", der ,Morgenpost" und beim ,Berliner Tageblatt". Spater wurde Jacobs Chef des ,Veuilletons der ,,Vossischen Zeitung". Seit dem Frtlhjahr 1934 durfte er nicht mehr schreiben, blieb aber noch bis zum Fe- bruar 1939 in Deutscheand; dann ging er nach London, wo er im Dezember 1945 starb. Er war ein Theaterkritiker von groller Einftlhlungsgabe; davon zeugen auch seine Ausftihrungen tiber NEU- INSZENIERUNGEN, die er lange vor 1933 In einer Zeitschrift veroffentlicht hat: Wesentlich bleibt das Problem: den Geist unserer Zelt zum Klingen zu bringen, ohne dem Geist des Klassikers Gewalt anzutun. Die Grenze Iaot sich nicht starr festlegen, aber man kann leicht bestimmen, sobald man sich dem Takt und dem Geschmack anvertraut. Wenn etwa Jellner im ,,Hamlet" einen neuen Mitspieler entdeckt und seine Wichtigkeit betont, den danischen Hofstaat, so spricht er mit der Stimme unserer Tage, ohne Shake- speares Absicht zu gefahrden. Wenn dagegen Piscator in den XRaubern" 78
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