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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Kurt Hiller, pp. 70-71
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KARL JAKOB HIRSCH 1893 in Hannover geboren, Autor des vor 1933 erschienenen zeitkritischen Romans aus der wilhelminischen Aera ,,Kaiserr wetter", der bei S. Fischer erschien und 1933 verbrannt wurde. Hirsch emigrierte in die Schweiz und spater nach den USA. Seine Lebensgeschlchte hat er in der 1941 bei Kart Descir in Minchen erschienenen Autobiographie ,,HEIMKEiHR ZU GOTT' erzahlt; es ist ein Buch, das die tiefe Problematik des Emigrantentums zeigt Wir bringen daraus einen kurzen Abschnltt: Ich verlor das alles, als lch das Land meiner Geburt veriassen mul3te Niemand vertrieb mich, und doch war ich vertrieben; niemand zwang mich zu gehen, und doch ging ich. Denn das alles, was ich zu mir gehorig glaubte, war unerreichbar fMr mich geworden. Meine Wiinsche und meine Sehnsucht wurden eingeengt, sie starben, bevor ich aus ihnen das machen konnte, was mir Leben bedeutete: meine Kunst. Ein Land begann den Wahnsinn anzuerkennen; ein Land begann wieder darauf stolz zu sein, daB Macht vor Recht ging. Es war daa Land meiner Gel:urt, das damals nach einem Ausspruch eines amerikanischen Schrift- stellers ,,seine Uhr zuruickstellte". Ich hatte in Deutschland nichts mehr verloren. Ich ahnte, daBS es vielleicht das letztemal sein werde, daZ ich dieses Land verlieB. EOne Rtickkehr erschien mir unmoiglich. Als ich an jenem Dezemberabend am Schwarzwald entlang fuhr, die dunklen Walder sah, den Himmel verddmmern, da glaubte ich, die Bache zu horen und die Herdenglocken. Da uberfiel es mich plotzlich wie ein korperlicher Schmerz. Ich konnte es nicht in Worte fassen, ich hatte blol3 ein dumpfes wehrloses GefUhl, es war mefir als Schmerz, es war mehr als Heimweh: ich begriff den korperlichen Zusammenhang mit dem Lande meiner Geburt. Es ist nicht sentimental, es ist nicht wehleidig, es ist, als ob man das zweitemal den SchoB der Mutter verla.lt, nur ganz bewuBt und als erwach- sener Mensch. In diesem Augenblick wulte ich, dal3 ich ausgestolien wax, icli fUhlte Angst vor dem Nichta HURT HILLERL 1885 in Berlin geboren, einst der Begr11n. der der Jahrbilcher fMr geistige Pol4ikt und der entschiedenste Verfechter einer Aktivierung der Geistigen, entfaltete bis 1933 in Deutschland als Mitarbeiter der .WeltbUhne" und Verfasser zahlloser Schriften eine reiche publizistische Tbtig- keit. Viele seiner aulierordentlich polemi- schen und geschliffenen Artikel sammelte er In den beiden Blnden: Weisheit der Langenweile". Die Nazis trieben ihn ins Exil; er lebt in London. In seinem neuen Buch ,,Profile" portrbtierte er Personlich- keiten der neueren Weltgeschichte. - Aus deam ,,JAHRBUCH FUR GEISTIGE PO- LITIK" und aus der vor 1933 erschiene- nen Schrift ,,GEIST WERDE HERR' zitieren wir einige charakteristische Sdtze: Ieh werde es so lange wiederholen, und andere neben mir und nach mir werden es so lange wiederholen, bis es begriffen wird (und wenn es eim Weltalter dauert): nur durch einen spontanen Akt kollektiver Schopfung, nur durch Selbstgeburt irt jene souverline Adelskammer der Geistigen ver. wirklichbar, die ein Volk wirklich vertrate - ein Volk und das Volk der Menschheit. Sie wittern sich gegenseitig aus, sie erkennen einander, sie er- kennen sich: in den Stadten, in den Landern, auf dem Erdenrund - die Menschen der Geist-Rasse des unherrischen Herrentypus. der Befreiervorhut
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