Page View
Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Ernst Glaeser, p. 50
PDF (694.4 KB)
Page 50
Ausbruch und zum Erfolg der sogenannten Revolution vom 9. November 1918 beigetragen. In- Wirklichkeit ist noch nicht ein 'rozent des Umsturzes auf Ihre Rechnung zu setzen. Nur revolutionarer GroBenwahn kann in der Revolution etwas andres als den automatischen Zusammenbruch eines schuld- beladenen Regimes erblicken. Nicht einmal das geschickteste illegale Mittel der Linksradikalen: die Spartakusbriefe haben weitere Volkskreise oder gar das Heer erreicht. Sonst hatte der Spartakusbund im November und Dezember 1918 mehr als eine - allerdings sehr-aktive - Sekte sein mtissen. Ich habe den mai3gebenden Unabhangigen wahrend des Krieges nahe genug gestanden, um zu wissen, wie entschieden sie immer jede illegale Betatigung abgelehnt haben. Und ich vergesse nie, wie geradezu entsetzt Hugo Haase 1917 war, als er die erste Nachricht uiber die Marinemeuterei erhielt. Er tat alles, um als Mensch den armen Illusionisten zu helfen. Aber er betonte Immer wieder, daI3 die Unabhangigen den Weg der Verschworung fUr falsch, ja fUr eine Gefahrdung der unabhaingigen Friedenspolitik hielten, die immer mehr Anhang finde. Die illegale Tatigkeit ganz links war minimal, die illegale Tatigkeit ganz rechts aber riesenhaft. Sie gipfelte in dem unablassigen Kampf gegen Beth- mann, den die Allddutschen als das Haupthindernis fir ihre schrankenlose Annexionspolitik ansahen. Und sie konnte, sich fast ungehindert entfalten, weil die entscheidenden Militars in ihrem Herzen ganz auf Seite der Beth- mann-Gegner waren .,, ERNST GLAESER 1902 geboren, sebrieb den vlelumstritte- Worten) ,,rettungslos elnsam', nach nen Roman ,,Jahrgang 1902" und dessen Hitler-Deutschland zurtick undchwurde - Fortsetzung ,Frieden". Seine Eticher wur- ,,Hauptschriftleiter" der P.K. - Zeitung den verbrannt. 1933 ging er in die Schweiz; ,Adler im Suden". Den Bemtlhungen Ernst 1936 erschien sein Buch ,,Der letzte Zivi- Glaesers, seine damalige fragwtlrdige list" und ein paar Jahre spdter eine Samm- Haltung zu reclitfertigen, steht man viel- lung von Novellen: ,,Das Unvergingliche" fach mit abwartender Skepsis gegentiber. in einem Amsterdamer Exilverlag. Aber Hier folgt ein kleiner Abschnitt aus sei- 1939 ging Glaeser, in Zarich (nach seinen new Roman ,JAHRGANG 1902": An einem hellen, frischen Februarmittag des Jahres 1915 stand ich am Marktplatz und sah einer Pferdemusterung zu. Unter den splitternackten Asten der Kastanienbaume rieben sich etwa hundert Pferdeleiber, braune und schwarze. Der Geruch, der von ihnen ausging, tat meinen Lungen wohl. Zwischen den Pferden, deren Wiehern und Gestampf die kalte Luft zum Schaukeln brachte, ging ein Sergeant. Er hatte ein groles Notizbuch. Die alten, verbogenen Bauern, die ihre Gaule hielten, griuiten ihn tief. Er sah fiber sie hinweg. Hinter ihm ging ein Soldat, der ein gliakendes Eisen trug. Der Sergeant sah sich die Pferde an, pruifte ihr GebiB und ihren Huf, dann gab er dem Mann ein Zeichen. Dieser naherte sich dem Pferd, und wahrend der Sergeant in seinem Notlzbuch schrieb, setzte er 'das gluihende Eisen dem Gaul auf den Oberschenkel. Das Pferd sprang hoch, schrle, stampfte, wurde aber sofort von zwei anderen Soldaten an den Zugeln niedergerissen. Auf dem braunen Fell, das leicht dampfte und brandig roch, schwoll dann langsam das Zeichen: XVIII. A. K. Der Bauer bekam seinen Schein, der Sergeant ging weiter. Hinter ihm der Mann mit dem gliukenden Eisen.
Copyright 1947 by Heinz Ullstein--Helmut Kindler Verlag.| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright