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Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 5 (May 15, 1966)
Aus der Rede von Otto Brenner in Essen, pp. 8-9
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Aus der Rede von Otto Brenner in Esser W ir pochen darauf, daß der Arti- kel 20 des Grundgesetzes ver- wirklicht wird, der uns die soziale De- mokratie verheißt! Das ist keine leere Deklamation, son- dern eine konkrete Aufgabe, die uns die Väter unserer Verfassung gestellt haben! Und weil wir diese Verfassung ernst nehmen, weil wir uns ihren demokra- tischen Gehalt nicht nachträglich ver- wässern und zerstören lassen wollen, deshalb lehnen wir nach wie vor die Notstandspläne der Bundesregierung ab. Wir sagen es ganz klar. Die Notstandsentwürfe der Bundes- regierung haben nichts mit einer an- geblichen Sicherung der Bevölke- rung gegen Kriegs- und Notfälle zu tun. Um Sicherheit für alle zu schaffen, bedarf es keiner verfassungsändern- den Notstandsgesetze. Am allerwenigsten bedarf es dazu der Einführung einer allgemeinen Dienst- pflicht und der Einschränkung we- sentlicher Grundrechte, vor allem auch des Koalitions- und Streik- rechts. Ist es nicht absurd, anzunehmen, daß einer wirklichen Gefahr für unsere demokratische Ordnung am besten dadurch begegnet werden kann, daß man die demokratischen Organisa- tionen der Arbeitnehmer mundtot und aktionsunfähig macht? Wer solche Pläne ausheckt, der mag ein perfekter Bürokrat sein. Von De- mokratie hat er keinen Schimmer! Wir sind der festen Oberzeugung, daß unser Grundgesetz ausreicht, um Not- standssituationen zu begegnen! Wer die Demokratie sichern will, der darf nicht ihre Demontage betreiben! Demokratie heißt: Wohlstand, Si- cherheit, Fortschritt, Gleichberechti- gung für alle - nicht nur für wenige. Demokratie heißt: Sicherung des Friedens, Abbau der zwischen den Völkern bestehenden Spannungen. Seit jeher war der 1. Mai auch ein Tag machtvoller Demonstrationen der Friedenssehnsucht der arbeitenden Menschen, ihres Widerstandes gegen Rüstung, Kriegsgefahr und gewalt- same Austragung der Gegensätze zwischen den Völkern und Nationen des Erdballs. Die Atombombe hat ein neues Zeit- alter eingeleitet. Sie hat den Krieg als Mittel der Politik unmöglich gemacht, auch wenn das viele noch nicht wahr- haben wollen. Denn eines steht fest: Richtet eine allgemeine, internatle- Der dritte Weltkrieg wäre nicht mehr nale Rüstungskontrolle ein! ein mit konventionellen Waffen ge- Setzt die Politik der Entspannung führter Krieg, sondern eine die ganze fort, die trotz aller Widerstände und Menschheit bedrohende atomare Ka- Hindernisse seit einigen Jahren von tastrophe. den beiden Weltmächten - wenn auch In den USA hat man berechnet, daß zögernd - verfolgt wird. die Antwort des Gegners auf einen Wir begrüßen die Note der Bundes- von den Amerikanern geführten er- regierung an fast alle Staaten der sten Atomschlag schätzungsweise Erde, in der sie ihre Bereitschaft zur 20 Millionen Tote kosten würde. Da- Abrüstung und zu einer friedlichen gegen würden bei Abwehr eines vom Gegner zuerst geführten Atomschla- ges 120 Millionen Amerikaner ihr Le- ben verlieren - von den damit verbun- denen materiellen Zerstörungen ganz zu schweigen. Welche Weltmacht - so müssen wir fragen - würde sich also in einer kri- tischen Situation entschließen, bis zum letzten Moment zu warten, wenn sie hoffen könnte, durch einen Prä- ventivschlag 100 Millionen Menschen auf ihrer Seite zu retten? Wenn man von solchen Schätzungen und Überlegungen hört, dann sollte der Wahnsinn des atomaren Rüstens jedem einzelnen unauslöschlich zum Bewußtsein kommen. Es darf keinen Atomkrieg geben! Wir fordern: Macht endlich, endlich Schluß mit dem Wettrüsten! .Rüstet abl Zerstört alle Atomwaffenl Lösung der Probleme bekundet hat. Lange genug hat es gedauert, bis sich die Bundesregierung zu dieser Geste verstand. Auch in der Frage der Wiedervereini- gung gibt es in der letzten Zeit be- grüßenswerte Entwicklungen. Wir ge- ben uns dabei keinen Illusionen hin. Mit ein paar Gesprächen und Ver- sammlungen ist es sicher nicht ge- tan. Es wäre töricht zu glauben, daß UI- bricht und sein Regime bereit seien zuzugestehen, was sie bisher so hart- näckig verweigert haben. Das würde tatsächlich nicht mehr und nicht we- niger bedeuten als Selbstaufgabe. Trotz allem ist es ein Fortschritt, wenn beide Seiten wenigstens mit- einander ins Gespräch kommen, wenn vor allem die Bevölkerung drüben die Möglichkeit erhält, seit langen Jah- ren wieder zum ersten Male unsere Argumente und Vorstellungen zur Wiedervereinigung und zur Versti kung der menschlichen Kontakte erfahren. Wir haben immer gesagt: Es beste nicht der geringste Grund, einer ( fenen geistigen Auseinandersetzui mit den Kommunisten und der SE aus dem Wege zu gehen. Haben v denn zu unseren demokratischi Überzeugungen so wenig Vertraue daß wir glauben, bei eler Diskussi den kürzeren zu ziehen? Das wäre doch völlig unberechtigt! Wir haben unsere Vorstellunge darüber, wie ein wiedervereinigte. Deutschland aussehen soll, schon vor neun Jahren in der Erklärung des DGB zur Wiedervereinigung vorr 1. Mai 1957 der Öffentlichkeit vorge- legt. Wir können wichtige Erfolge aufwei. sen: Die bevorstehende Verwirk. lichung der 40-Stunden-Woche, die Verbesserung der Löhne und Gehäl. ter, die Verbesserung des Urlaubs und die tarifliche Sicherung des Urlaubs- geldes. Diese Erfolge gewerkschaftlicher Ak. tivität beweisen: Der soziale Fortschritt in der Bundes republik geht weiter. Es wird den Arbeitgebern und der hinter ihnen stehenden Kräften nich gelingen, ihn zum Stillstand zu brin genl
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