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Aufwärts
Jahrgang 16, Nr. 10 (October 15, 1963)
Fips
Die besten Jahre unseres Lebens, p. 14
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Ic eines Wohnungsuchenden Wen Gott auf dieser Welt verdammt, den schickt er auf das Wohnungsamt. Eine Wohnung kriegt er dort bestimmt, wenn Gott Ihn sicher zu sich nimmt. (Wohnungsuchender ter Laß uns gehen, äih, wir sind zu jung fOr solche Wohnungen N atürlich kommt es immer wieder zu Strei- tigkeiten", gesteht die Mutter ohne Zögern, ~denn jung und alt passen nicht zusammen." Aber In dem kleinen Häuschen am Stadtrand müssen jung und alt zusammen aushalten, denn seit Jahren suchen die jungen Eheleute vergeblich nach einer Wohnung - wie unge- zählte ihresgleichen. Sie müssen sich von den verschiedenen Ämtern, die sie mit Gesuchen bestürmen, noch ~glücklich" preisen lassen. Denn schließlich haben sie für sich und ihr Kind von 10 Monaten einen ganzen Raum allein, einen Raum von 2,30x3,30 qml Na, ist das nichts? Ein Bett steht darin und das Kin- derbett, ein Waschtisch und auf dem Schrank in Kisten verpackt die Aussteuer, die monat- lich umgeschichtet werden muß, da sie sonst schimmelt Gekocht, gewaschen, gegessen wird in der kleinen Wohnküche der Mutter. Im Augenblick sind die jungen Leute nicht da: ~Sie gehen sehr oft abends aus, denn wo sol- len sie hier bleiben? Und das Kind nehmen sie meistens mit." Immerhin - sie dürfen ihre ersten Ehejahre ge- meinsam verbringen - weich ein ~Vorzug" Im Gegensatz zu den vielen jungen Verheirateten, die sich im Cafd oder in der elterlichen Woh- nung treffen, weil sie getrennt leben müssen seit Jahren schon: Eheebenl Welcher Vorzug auch gegenüber dem jungen Paar L, dem von der Mutter der jungen Frau gekündigt wurde, bei der es bisher jahrelang wohnte. Jetzt steht der Laufstall des pausbackigen Sohnes zwi- schen Klubsessel und Gumrmibaum in der Wohnung der Schwiegermutter, die zum Glück verreist ist. ,Was wird, wenn sie wieder- kommt?" ~Das wissen wir nichtl Das wissen wir wirklich nichtl" Sie sind einfach obdach- los! Obdachlos zu sein ist eine Hoffnung. Denn einen gesetzlichen Anspruch auf Wohnung, der gegebenenfalls mit öffentlicher Unterstüt- zung verwirklicht wird, besitzen nur wenige Personenkreise in der Bundesrepublik; Flücht- linge z.B. und Obdachlose. Obdachlose wer- den zunächst in Obergangshäuser eingewie- sen. <Nur das nichtl" sagt die junge Frau schaudernd und denkt an Geschrei, Kinder mit Schnapsflaschen und abmontierte Trep- pengeländer. So suchen sie Tag um Tag, und der junge Ehemann fährt bis weit hinaus vor die Stadt, um <ein Dach über den Kopf" zu finden. Meist sind die Mieten trotzdem uner- schwinglich hoch, aber gegebenenfalls wollen sie eine Wohnung teilen mit einem befreunde- ten Ehepaar, das ebenfalls noch bei den Eltern wohnt. Doch wenn sie wirklich einmal etwas Passendes finden, heißt es: <Bitte, ohne Kin- der!" - <Obergangshäuser" - muß man sie tatsäch- lich so fürchten? Zuzug in sie bekommt nur, wer <wirklich obdachlos" ist. Das waren vor dem Inkrafttreten des Lücke-Planes z.T. Fami- lien, die auch bei angepaßten Mieten in Miet- rückstand gerieten und deshalb trotz des Mie- terschutzgesetzes gekündigt werden konnten. Das werden nach Auswirkung des Lücke-Pla- nes, das heißt nach dem Fortfall des Mieter- schutzgesetzes und bei der Möglichkeit prak- tisch grenzenloser Mieterhöhung, sehr viele, solide, zahlungswillige junge Ehepaare sein, die vom Mietwucher einfach überfordert werden. Der hoffnungsvolle Name ~Obergang" hatte bisher für etliche junge Leute eine Berechti- gung, denen nach einigen Monaten Wartezeit eineWohnung aus dem sozialenWohnungsbau vermittelt wurde. Er hat kaum Berechtigung für Familien mit 5,6,9 Kindern, die dort seit Jah- ren in drei Räumen, einem größeren und zwei kleinen, wohnen. Denn <wer will schon kinder- reiche Familien?" Wie sieht es da aus? Bei Familie 204 schlafen jeweils zwei Kinder in ei- nem Bett, weil mehr Betten räumlich nicht un- terzubringen sind. Der Kleinste liegt im Kinder- wagen; für ein größeres Kinderbett wäre kein Platz.<Und wenn eren größeres Bettbraucht?" <Dann gebe ich die Kinder ins Waisenhaus und gehe wieder nach Haus!" Familie 202 - blitzend sauber die Wohnküche, die Buben in frisch gebügelten Hemden, 6 Kinder. <Kann Ihnen nicht der Bund der Kinderreichen eine Wohnung verschaffen?" ~Ich mußte meinen Ältesten eben aus der Lehre nehmen, weil Ich allein das Geld für die Familie nicht aufbringen kann. Woher sollte Ich den eigenen Baukosten- anteil nehmen?" <Daher kommt ja das ganze Elend - daß die Männer ihre Frauen schlagen, daß sie nicht mehr nach Hause kommen, daß sie trinken - wegen der Hoffnungslosigkeitl" sagt Frau 201... Aber wir wollten ja von den Jungen, von den Hoffnungsvollen berichten, die - wohnhaft mit einem Kind in einem Raum Irgendwo, ohne Ab- stellkammer, ohne Keller, ohne Speicher, oft ohne Wasserleitung, manchmal ohne Fenster- auf einen zweiten Nachkommen warten, auf daß der Wohnunganottand - vier Personen in einem Raum - ihnen eine menschenwürdi- gere Wohnung aus dem sozialen Wohnungs- bau verschafft. Ihre Hoffnung aber schrumpft mit dem Schrumpfen dieses sozialen Woh- nungsbaues: Ministerialdirigent Fiedler vom Bundeswohnungsbauministerium gibt an, daß der soziale Wohnungsbau im Jahr 1963 gegen- über dem Vorjahr um 18% abgenommen hat. Und so verringerte er sich bereits seit Jahren, obwohl nach der amtlichen Gebäudeerhebung vom Juni 181 in Notunterkünften, -Bumkern, Nissenhütten, Wohnungen ohne Küche und Kochnische und in Lagern über eineinhalb Millionen Menschen wohnen 1 Und die Zahl der Räumungsklagen und der Obdachlosen in den Großstädten ist seit der ersten Lockerung des Miet- und Wohnrechtes erheblich gestiegenl Und sie wird weiter steigen! Also wird man die besten Jahre seines Lebens oft weiter durchstehen müssen in der Ein- raum-,Wohnung". Täglich werden die Win- deln neben dem Kochtopf baumeln, und Abend für Abend wird es heißen: <Pstl Raschele nicht so mit der Zeitung: der Kleine soll schla- fen!" Bis der Kleine vielleicht gar nicht mehr schlafen kann, weil der Vater die Zeitung auf den Tisch knallt und schimpfend aus dem Zim- mer rennt <Wenn das so weitergeht, geh' ich zur Fremdenlegion", stöhnten junge Väter vor den Instanzen, die zum Helfen da sind und nicht helfen können. Und nicht nur einer hat solche oder ähnliche Pläne durchgeführt. Mancher ging In die SBZ. Und wenn er später Frau und Kinder nachkommen ließ, hatte die Fürsorge für zwei Personen weniger zu sorgen.
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