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Aufwärts
Jahrgang 16, Nr. 10 (October 15, 1963)
Reuther, Walter P.
Aus Gründen der Gerechtigkeit, p. 7
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Besonders die jungen Leute ließen sich von tage- und nächtelangen Autobusfahrten nicht abhalten, dabeigewesen zu sein und zu demonstrieren, zu fordern: gleiche Rechte, jetzt! Der größte Tag in ihrem Leben, für sie und viele Tausende amerikanische Neger, von dem sie den daheimgebliebenen Familienangehörigen ausgiebig erzählen wird. D ie Tatsachen, die diese Gesetzgebung notwendig gemacht haben, sind nicht umstritten. Es kann von keinem Mitglied diesesAusschussesgeleugnetwerden, daß Negern häufig das Wahlrecht vorenthalten wird, daß die Schulintegration in einigen Staaten nur zu oft nichts als eine Farce ist, daß Neger mancherorts nicht das Recht haben, ein Glas Wasser zu trinken oder in einem Motel zu übernachten, und daß die Bürgergesetze heute das dringendste Pro- blem sind, das vor dem amerikanischen Volke steht. Wir unterstützen Präsident Kennedys Ge- setzentwurf als energischen ersten gesetz- gebenden Schritt auf dem Wege zu einer Bundescharta der Bürgerrechte, die allen Amerikanern gesetzliche und tatsächliche Gleichberechtigung sichern würde. Die mutige Aktion des Präsidenten verdient, von allen Amerikanern unbeschadet ihrer Rasse, Hautfarbe oder Parteizugehörig- keit loyal unterstützt zu werden. In allen Teilen Amerikas besteht der gute Wille, das Richtige zu tun. Tief im Herzen der meisten Amerikaner besteht der Wunsch, das Richtige zu tun - aber dies wird in Chlkago oder Birmingham nicht möglich sein, solange es nicht entschie- dene, von der Macht der Bundesregierung gestützte Gesetze gibt. Unternehmer, die ihre Arbeiter rücksichts- los ausbeuten, waren vor einer Generation, und sind es noch heute, eine ständige Quelle der Verlegenheit für aufgeklärte Unternehmer. Strenge Arbeitsgesetze wer- den von den Unternehmern begrüßt, die das Richtige tun wollen, und strenge Bir- gerrechtsgesetze werden von den Ge- schäftsleuten, Gewerkschaften, Schulbe- hörden, einzelstaatlichen Beamten, Wäh- lelistenführern und anderen begrüßt, die hinsichtlich der Sicherung gleicher Rechte für alle amerikanischen Staatsbürger das Richtige tun wollen. Vorurteile sind kein amerikanisches Er- zeugnis. Bei meinen Reisen um die Welt habe ich entdeckt, daß es Rassenvorurteile in allen Ländern gibt - Indien, Japan, den westeuropäischen Ländern - ja, sogar in Afrika gibt es Rassenvorurteile. Aber, wie unser Außenminister Dean Rusk erst letzte Woche sigte, von uns wird mehr erwartet, weil wir mehr für uns in Anspruch nehmen. Die Unabhängigkeitserklärung besagt, daß alle Menschen als gleiche geschaffen wur- den und daß alle Menschen ein Recht auf gleiche Chancen haben. Was wir heute den Kongreß zu tun bitten, ist, sicherzustellen, daß diese Versprechungen in einer Weise garantiert werden, die den höchsten ameri- kanischen Idealen entspricht. Die Frage der Bürgerrechte und gleicher Möglichkeiten ist keine parteipolitsche Frage, weil sie im Grunde genommen eine moralische Frage ist, die die Beziehungen zwischen den Menschen in einer freien Gesellschaft betrifft. Als Amerikaner trete ich für gleiche Mög- lichkeiten und volle staatebürgerliche Gleichberechtigung für unser ganzes Volk aus Gründen der Ethik, des Anstands und einfacher Gerechtigkeit ein. Ich bin für Bürgerrechte und gleiche Chancen für alle, weil die Freiheit ein unteilbares Gutist, und solange einem einzigen Menschen seine Freiheit vorenthalten wird, ist meine Frei- heit gefährdet. Wir können unsere eigene Freiheit nur dann sichern, wenn wir die Freiheit univer- sal machen, so daß alle ihre Segnungen genießen können. Wir können in der Welt die Demokratie nicht mit Erfolg propagie- ren, wenn wir nicht zuerst Demokratie im eigenen Haus praktizieren. Der amerika- nischen Demokratie wird die moralische Oberzeugungskraft fehlen, und sie wird sowohl unfähig als auch unwürdig sein, die Kräfte der Freiheit gegen die Kräfte der Tyrannei zu führen, wenn wir nicht kühne, positive, angemessene Maßnahmen ergrei- fen, um die moralische Kluft zwischen den noblen Versprechungen der amerikani- schen Demokratie und ihren häßlichen Praktiken auf dem Gebiet der Bürgerrecht zu überbrücken. Es gibt keine Telllösung für das Problem der menschlichen Freiheit. In der gegen- wärtigen Krise werden keine halben, lauen Maßnahmen benötigt, sondern kühne, den Erfordernissen entsprechende Taten, um die Praxis der amerikanischen Demokratie mit Ihren Versprechungen voller Bürger- rechte und gleicher Möglichkeiten für alle Amerikaner In Übereinstimmung zu brin- gen.
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