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Aufwärts
Jahrgang 8, Nr. 20 (September 29, 1955)
Trier, Hann
Himmel, Blech und Geographie, p. [7]
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7 dauert eine Stunde. Wieder ein marmorner Bahnhof ohne Schienen als Empfangsgebäude. Es gibt eine Tasse Kaffee gratis. Der Kaffee steht gut im Preis, und die Kaffeehändlerver- einigung möchte Kunden werben. Sonst gibt es Souvenirs zu kaufen, typisch für jedes Land und in allen Ländern merkwürdig gleich. auch die Bauart der Häuser immer d von Chile bis nach Mexiko; Neueru den aus anderen Zonen importiert. in Managua, der Hauptstadt Nikaraguas, soll um 11 Uhr sein; aber nach einer Stunde wird die Uhr zurückgestellt, und der Flug dauert eine Stunde länger. Nikaragua hat zentral- amerikanische Zeit. Von oben sieht man die Stadt zwischen dem Pazifik und dem Nika- raguasee mit ihren ziegelroten Dächern liegen. Wie alle diese Städte hat sie ein quadratisches Straßennetz. Aus dem See ragen steile Vul- kane auf. Er ist der einzige Süßwassersee der Welt, in dem es Haie und Sägeflshe gibt. Erd- katastrophen sollen die dort ursprünglich vor- handene Meeresbucht vom offenen Ozean ab- getrennt haben. Gebirgsflüsse verdünnten dann allmählich das Salzwasser und gestatte- ten so den gefangenen Meeresfischen eine langsame Gewöhnung an die veränderten Ver- hältnisse, so daß die Arten überleben konnten. Himmel, Blech und Geographie Die ursprüngliche Stadt Panama ist übrigens seit der Brandschatzung durch den Piraten Morgan 1671 ein Ruinenfeld außerhalb der heutigen Stadt. Irgendwo an einer Straßen- kreuzung überquert man die Grenze zwischen Panama und der Kanalzonenstadt Balboa. Sie trägt den Namen des Vasco Nufiez de Balboa, der hier 1513 den Pazifischen Ozean entdeckte und etwas später das bereits erwähnte Santa Maria la Antigua del Dari4n gründete. Hier be- finden sich vielleicht die einzigen Straßen Ame- rikas, wo bereits mittags die Burlesken-Theater für durchreisende Seeleute Vorstellungen geben. Dort geht es mehr oder weniger witzig .sexy' zu. ,Striptease' kann man dort in allen Ras- sen der Welt bewundern. Die Seeleute ge- hören offenbar nicht zu dem von Kinsey be- richteten Prozentsatz der Männer, die nach dem zweiten Besuch die Lust am Nackttanz verlieren. Wer nicht fühlen kann, muß sehen. Ein Abendbummel durch die bulligwarmen Straßen bietet alles außer Panamahüten. Die erscheinen nur in Andenkenläden und werden aus Ekuador importiert. Es gibt Waren aller Länder, viel orientalisches Kunstgewerbe, chinesische Restaurants in Mengen, die üb- lichen basarartigen Kaufhallen mit bunten, billigen Lappen. Ein verträumter alter Platz,' weißgekleidete Herren auf steinernen Bänken und die Fassade einer Kirche im spanischen Kolonialbarock gegen den dunklen Abend- himmel haben die Atmosphäre einer vergan- genen Zeit. Dann wieder Holzhäuserviertel in Meeresnähe mit vielen Galerien, eng, finster, muffig, dahinter ein Regierungsgebäude mit schrecklich vielen Soldaten darum, ein Gitter, dahinter dunkel das Meer. Es ist eine fried- liche Zeit: Der Präsident ist noch nicht ermor- det und sein Nachfolger noch nicht unter Mordverdacht im Gefängnis. Ein Kaufhallen- besitzer spricht mich auf englisch an: Ob ich Neuseeländer sei? Nein, warum? Ich dachte so, Sie sehen genau so aus wie einer, den ich kannte. - Das Abgelegenste ist selbstver- ständlich hier. Um sieben Uhr früh ein Kopfsprung in das durchsichtige Wasser des Hotelschwimm- beckens. Es ist lauwarm; niemand badet. Der Tropenmorgen glänzt silbrig. Ich springe und schwimme, bis ich erschöpft bin. Dann muß ich mich beeilen, um vor dem Weiterflug noch zu frühstücken. Der blitzblanke Eßraum ist voll besetzt. Die farbige Bedienung mit den kran- kenschwesterweißen Häubchen hat alle Hände voll zu tun, die Bestellungen auf die genorm- ten Frühstücke Nummer 1 bis 6 entgegenzu- nehmen, Kombinationen von Orangensaft, Kaffee und Maisflocken, Waffeln oder Eiern. An meinem Tisch sitzt ein älterer Herr aus einer kolumbianischen Kleinstadt, Don Jairo Restrepo. Der Arme macht die erste Gesell- schaftsreise seines Lebens ins Ausland und ist über die Eissalon-Eleganz erschreckt. Die Nor- mung des Frühstücks begreift er nicht. Be- scheiden bittet er um das, was er sein ganzes Leben lang gefrühstückt hat: Kakao mit Weiß- käse. Das wirkt so, als bestelle jemand in München eine Boulette oder in Paris einen halven Hahn. Die Mulattin macht aufgeregte Kulleraugen und läßt den Alten sitzen, Feu- dale Provinzsitten, die einen nur aufhalten! Dazu geben diese südamerikanischen Cabal- leros kleinste Trinkgelder! Da zieht man den Gringo doch vor. Panama hat eine starke Währung. Dollar und .Balboa" haben gleichen Wert und werden gleichermaßen in Kauf genommen. Man kann eine Stange ,Amis» für einen Dollar 65 Cents haben. Das macht dreieinhalb Pfennig die Zigarette, was einen wehmütig an die Zeit der .Ree4ucation» erinnert. Französischer Kognak und schottischer Whisky kosten drei bis vier Dollar die Flasche und sind zollfrei zum Mit- nehmen. Man kann deutsche Kameras und chinesische Seide billiger haben als sonstwo in Amerika. Bestellt man jedoch einheimische tropische Früchte, bekommt man sie in Büch- sen aus Kalifornien. Das ist anscheinend das untrüglidiste Zeichen für Währungsstärke in Lateinamerika. In Venezuela ist ebenso schwer, an frische Früchte zu gelangen, wie es leicht ist, amerikanische Konserven zu bekommen, Um 10 Uhr startet das Flugzeug, wieder be- ginnt das Erdkundespiel. Die nächste Landung weiß man nicht mehr, ob man vor Müdigkeit oder vor Hitze schwitzt. Der Weiterflug nach San Salvador führt über das glänzende, weite Meer des Pazifiks und die Ruhe des Winters. Auch dem Menschen fehlt diese Erfahrung. Noch nie sah ich so viele Gesten der Vergeblichkeit wie in den Tropen: Man kann nichts machen, nichts beginnt neu, und man erlebt, daß nichts wird. So bleibt Fidschiinseln Taxi findet, wann die Läden In Madrid offen sind, was man in Honduras kau- fen sollte und was der Zoll in Bolivien er- laubt, ob man in Frankreich in der Provinz mit guter chemischer Reinigung rechnen kann Beim Erwachen bemerke ich, daß wir schon weit über mexikanischem Gebiet sind. Die Abendsonne vergoldet den Sdneegipfel des Orizaba; nach unten verliert sich der Kegel in blauen Schatten. Das ist seit heute morgen, als wir den Cayambe am Aquator passierten, den ersten sichtbaren Berg mit immerwährender Schneedecke. Der Ruiz bei Manizales in Ko- lumbien blieb hinter Wolken verborgen. In den Tropen beginnt die Schneedecke bei über 4500 Meter Höhe. Es gibt Fanatiker, die dort oben noch Ski laufen; die Höhenluft ist jedoch so dünn, daß man das Gefühl völliger Kraft- losigkeit hat. Zeichnungen und Text von Hann Trier (Wird fortgesett) Der .Hauptbahnhof' von Guatemala hat den Charakter eines spanischen Kolonialbaus. Es gibt wieder eine Tasse Kaffee gratis; die Schuhputzer und Verkäufer sagen schnell etwas Böses über den Kommunismus, denn er ist ja gerade erst abgeschafft worden. Und nach einer halben Stunde erhebt sich der Blecivogel zur letzten Strecke des Tages nach Mexiko. Guatemala liegt tief unter uns, stau- big, provinzlerisch. In der Erinnerung haften die VolkskUnstjacken, die mit Mayamustern geschmückt sind.
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