Page View
Aufwärts
Jahrgang 5, Nr. 22 (October 30, 1952)
Leser schreiben an den Aufwärts, p. [7]
Page [7]
- i liiSi Bunter, besser, billiger . .ist die Speisekarte im Selbstbedienungs- Restaurant. Und sie Ist so groß, daß man sie nicht herumreichen kann. Man muß zu ihr hin- gehen- zu der zwanzig und mehr Meter langen Theke. Da steht nicht nur geschrieben, was es gibt, da steht gleich alles fix und fertig auf Tel- lern serviert. Man braucht nur zuzugreifen. Längs der Theke führt ein Gang, Am Eingang bekommt man ein Tablett und ein Besteck, und dann hat man beliebig Zeit, sich sein Mittag- essen nach eigenem Geschmack und nach eigenem Appetit zusammenzustellen- viel oder wenig, süß oder sauer, leicht oder kräftig, fest oder flüssig, alles bestimmt der Gast selbst, der dann nur noch am Ende des Ganges sein Tablett vor- zuzeigen braucht. Dort ist nämlich die Kasse. Ein Blick sagt dem Kassenfräulein, was es zu berechnen hat. Man zahlt, geht an einen Tisch und ißt. Guten Appetit! Das ist übrigens nichts Neues. In den USA kennt man »diese Restaurants seit vielen Jahren, denn die Amerikaner haben ein gutes Händchen da- für, alles so praktisch wie möglich zu machen. Rationalisieren nennen sie das: Mit weniger Mühe und Umständen dasselbe zu erreichen, was andere Leute höchst kompliziert machen. Sie sparen Zeit und Geld damit. Vielleicht haben sie deshalb soviel von beiden. Bei uns - obwohl wir in der Regel ohne Geld und Zeit sind - dauert es etwas länger, bis der Groschen fällt. Aber schließlich fällt er denn doch mal, wenn auch zunächst weniger durch eigene Initiative als durch die Bemühungen der Marshallplan-Kommission, die ja Wert darauf legt, daß ihr Geld praktisch und sinnvoll an- gelegt wird. Jedenfalls haben wir in der Bundes- republik immerhin schon 98 Selbstbedienungs- läden, die ähnlich funktionieren wie das be- schriebene Restaurant. Auch hier heißt die Devise: Einfach und schnell, An Stelle von hun- derten Sorten stehen wenige klar und übersicht- lich in den Regalen, alle sauber in Cellophan verpackt. Da diese wenigen, sorgsam ausgewähl- ten Sorten in größeren Mengen hergestellt, ein- gekauft, verpackt und verschickt werden können, sind sie billiger. Und schließlich wird keine Frau es bedauern, wenn sie je Einkauf 10 Minuten spart. Bei täglich einem größeren Einkauf sind das im Monat rund 270 Minuten oder vierein- halb Stunden oder ein ganzer freier Nachmittag, den unsere Frauen und Mütter immer so nötig hätten. Sie könnten ihn einmal im Monat haben durch Rationalisierung beim Einkauf. Nicht nur an der Ladentheke gibt es die Mög- lichkeit, einfacher, bequemer und doch schneller zu arbeiten. An jedem Arbeitsplatz - auch an deinem - gibt es die Möglichkeit, durch Ratio- nalisierung Kraft und Zeit zu sparen und - im Akkord - ohne größere Anstrengung mehr Geld zu verdienen. Auch hier sind die Amerikaner Meister. ,Work simplifcation (Arbeitsverein- fachung) ist drüben mittlerweile zur Selbstver- ständlichkeit geworden. Bei uns wird in dieser Sache immer noch zu wenig getan. Dreißig Minuten Mittagspause machen keine Freude mehr, wenn man fünfzehn Minuten davon auf den ,Ober" warten muß. Aber jeden Mittag'ist dasselbe Theater (.Herr Ober, nun kommen Sie doch endlich mali"), weil der sogenannte <Ober" auch nur ein Mensch ist und wie jedes Exemplar dieser Gattung nur zwei Beine hat. Im Selbstbedienungsrestaurant der HICOG haben sie das Problem gelöst. Man wählt das Essen an der langen Theke selbst aus, bezahlt, ißt in Ruhe und hat dann noch fünfzehn Minuten Zeit, draußen in der Sonne zu sitzen. Hier spart Rationalisierung Zeit. Unter den Rabftsi*e, der Ägäls Der Gott Im Wasser Wachsen, das war eines der Lieblingsworte meines Alten, in dessen Boot ich seinerzeit die Küsten des Ägäischen Meeres auf und ab fuhr. Bald hatte ich heraus, daß er über einen guten geschulten Mitarbeiterstab verfügte. Uberall warteten Männer auf ihn, waren irgendwie schon verständigt. Schafften Kisten mit Schmug- gelware ins Boot oder nahmen solche entgegen. Alles ging nachts vor sich, lautlos. Mit geflüster- ten Rufen, gezischten Pfiffen. Der Alte bewegte wohl jede Art verdächtigen Gutes in seinem Kahn umher. Goldschmuck, Kir- cheneuchter, Zigarettenpapier, Medikamente, wenn es nur Gefahr mit sich brachte, an Ab- nehmern selbst der ausgefallensten Dinge man- gelte es ihm nicht ... Einmal geschah folgendes: Ein motorisierter Schleppnetzfischer, der die Bucht von Volos ab- graste, wurde mitten In voller Fahrt einen Augenblick ruckartig angehalten. Man maß der Sache keine Wichtigkeit bei. Aber als das Netz an Bord war, ergab sich, daß im Gewimmel der Schnecken, Muscheln, Krebse, Polypen und Zwergrochen eine abgebrochene bronzene Rio- senhand lag. - Der Kapitän suchte sofort meinen Alten auf und fragte ihn um Rat. Dieser besah den Fund, zog die Schulter krumm und murmelte: Escheksikon, große Sachel" Sofort ließ er seinen ganzen Apparat spielen. Es kam schon im voraus ein ansehnliches Kapital zusammen, nur um die Bergung des vermut- lichen Fundes zu bewerkstelligen. Abgesehen davon, daß die Stelle, wo die Stahltrossen des Netzes ruckten, wiedergefunden werden mußte. Aber der Alte verließ sich auf den wunderbaren Ortssinn unserer Fischer, die auf dem Meer min- destens- so gut Bescheid wissen wie ein Hirt mit den Wechseln der Wölfe. Und er behielt recht. Er ließ Schwammtaucher kommen, die ihm ver- pflichtet waren und auf deren Verschwiegenheit er rechnen konnte, und man fuhr heimlich mit Bergungsgeräten nach jener Stelle, wo es ge- ruckt hatte. Es war ein windstiller Vormittag. Kaum Boote im Golf. Der erste Taucher wurde abgeseilt. Er kam herauf und hatte nichts gefunden. Dann wurde, nachdem der Kapitän sich noch einmal vergewissert hatte, daß man am richtigen Platz sei, der zweite Taucher hinabgeschickt. Und der zweite Taucher blieb länger. Er kam völlig erschöpft mit blutender Nase wieder her- auf: er habe den ganzen Schlammgrund abge- tastet. Es sei nichts Auffälliges, außer einem ellbogenlangen Korallenbäumcen, zu finden ge- wesen. Der dritte Taucher ging hinab. Er nahm eine Schlammharke mit. Er steuerte direkt die Koralle an. Nach langer Zeit kam er erschöpft wieder hoch. Er hatte die Koralle freigelegt, und die Koralle wuchs genau aus dem Bauchnabel eines Gottes. Eines metallenen Riesen, wie der Tau- cher sich ausdrückte. Nach einer Erholungspause gingen alle drei zu- gleich hinab. Kranen wurden ausgeschwenkt. Uns allen klopften die Herzen. Völlig zerschlagen und zerschunden kamen die Taucher schließlich wieder hoch: der Gott sei fest. Ratternd lief die Motorwinde an, die Seile ruckten, strafften sich, erklangen wie Harfen- saiten. Wellenumspült erschien ein umlocktes, bärtiges, gewaltiges, Haupt, ein muskulöser, bewegter Körper, auseinandergestellte laufende Füße. Wir hatten ihn noch nicht an Bord, da kam, etwas zu spät vom Wachthabenden signalisiert, das Küstenwachtschlff angeschossen. Wir waren von irgend jemand verraten worden. Irgend jemand, der sich bei dem Geschäk benachteiligt fQhlte oder sich einen guten Ruf bei der Polizei ver- dienen wollte. Schwerbewaffnete Gendarmen enterten auf das Schiff hinüber. Der Eisenboden erklanq+ von er- regten Schritten. Befehle gellten. Der Gott war besdiagnahmt ehe die Fischer sich seines Be- sitzes erfreuen konnten. Im Geiste hatte wohl schon mancher berechnet, was mit dem Erlös des wertvollen Fundes anzu- fangen sei. Essig war's. Zum Segen des Staates natürlich. Denn jetzt ist der blitzesdileudernde Zeus Mittelpunkt der Athenischen Sammlung. Werner Helwig (Ennomm.en dem sannensde Jundr.man MitHapn und Dynamit", den Erlebi s enne gen, deras blin- der Paagler nach Griechenland fährt und dort in den Krisde Rubishe grät, erschienen fImVarlag Eugn Leser st , screilben Aufwärts Deutschland, Deutsddand Ober alles Mit Befremden nehme ich Kenntnis von dem so lobend erwähnten Verhalten der Delegierten der Gewerkschaftsjugend in der Delegiertentagung des Deutschen Bun- desjugendringes am 19. September 1952 in Frankfurt am Main zur Eröffnung der .Woche der Jugend'. Wenn hier von unserer Nationalhymne als einem ,Mißton» gesprochen wird, so finde ich das nicht nur bedauerlich, son- dern auch höchst bedenklich. Ich bin der Auffassung. daß unsere Dele- gierten in der genannten Tagung durch Ihr Verhalten bei dem gemeinsamen Ge- sang der Nationalhymne dem Ansehen der Gewerkschaftsjugend in der Bundes- republik geschadet haben. Es dürfte doch wohl auch für die Gewerkschaftsjugend in der Bundesrepublik akzeptabel sein, wenn der dazu autorisierte Bundespräsident die 3. Strophe des Deutschlandliedes zur Na- tionalhymne erklärt. Gerade In dieser Frage sollten wir als Gewerkschaftsjugend unseren echten demokratischen Charakter beweisen und einen durchaus heute noch vertretbaren, natürlichen Nationalstolz besitzen. Daß Herr Peter Strasser in die- sem Zusammenhang in Frankfurt äußerte, .man hätte hier wenigstens auf uns Aus- länder Rücksicht nehmen können', kann ich nur als recht anmaßend bezeichnen. Mit kollegialem Gruß! Köppler. Mistköfer Interessiert verfolgen wir Eure Artikel und sind beeindruckt von der Zielsicher- heit, dem Aufbau und der feinen Ironie Eurer Schreibweise. Ihr legt den Finger in Wunden, die allzugern von den Tages- zeitungen mit Leukopast verklebt werden, uns aber als junge Gewerkschafter in un- verändertem Zustand gezeigt werden müssen. Wir hatten gar nicht vor zuschreiben. (Was eigentlich falsch ist, denn man soll gerade seine Sympathie mitteilen, damit man sieht, daß die Schreibweise Wider- hall findet.) Warum wir nun doch schreiben, hat fol- gende Ursache: Wir geben in Solingen allmonatlich einen abgezogenen Informationsdienst heraus. Der Artikel von dem als Papp-Panzer ge- tarnten .Jauchewagen«, der durch Bonn fuhr und die Mistkäfer hinter sich her- zog, die von der Leiche des Militarismus nicht lassen können, hat uns so gefallen, daß wir ihn voll in Abdruck brachten. Dieser Informationsdienst gelangte nun auch in die Hände des Ortsvorstandes des .VDS* (Verband Deutscher Soldaten). Wir hatten die Ehre, daß ein .Herr Oberst a. D.» diesen Artikel einer gut besuchten Versammlung vorlas. Die ,spontane Ent- rüstung' muß sehr groß gewesen sein, denn man schickte einen ,Abgesandten» zu uns, der uns ersuchte, die Beleidigung gegen die unbefleckte Ehre des deutschen Berufssoldaten zurückzunehmen. Wir hatten Mühe, dem Herrn klarzumachen, daß dieser Artikel sich doch In keiner Weise gegen den Berufssoldaten richtet, sondern gegen die <Mistkäfer an der Leiche des Militarismus'. Man polemisierte weiter: In der Ostzone, im Machtbereich des Mar- xismus und Sozialismus, wird sogar die Nationalarmee aufgebaut und den Feld- herren Gneisenau und Scharnhorst als deutsche Patrioten der gebührende Dank abgestattet. Demzufolge müßten wLr als Gewerkschaften doch auch hier die Wie- derbelebungsversuche an der Leiche des Militarismus voll unterstützen. Uns blieb vor soviel politischer Dummheit die Spucke weg. Als wir Artikelserien und Bilder aus unserer Gewerkschaftspresse zeigten, die sich scharf gegen die Uniformierung un- serer Jugend in dem isolierten Teil Deutschlands aussprachen, hatten wir den Eindruck, daß auch dies seine Zustimmung in keiner Weise fand. Das Ergebnis dieses Versuches ist nun folgendes: Der VDS schickt .6 Abgeordnete'. Wir sollen ebenfalls 6 Jugendliche stellen. Diese ,Zwölferkommssion soll dann in einem .Streitgespräch am runden Tisch' diese Probleme grundlegend diskutieren. Wir sehen diesem Gespräch nun entgegen. Wir hoffen, daß wir nicht auch noch da- von überzeugt werden, daß die .ethische, moralische und mannestumstärkende Er- ziehung" des Kasernenhofes der einzig richtige Weg ist, um unsere Jugend vor dem Sumpf zu bewahren. Wir hielten es für notwendig, Euch diese Episode mitzuteilen, damit Ihr seht, wie sehr Ihr da geheiigt Banner .Sdiwarz Weiß-Rot" mit Kot bewerfen habt Bessert Euch -nict! Wüi äep, siae
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright